: Weihnachten bleibt der Fernseher aus
Weihnachtsfilme sind auch Mütterfilme. Vor allem die klassische Hollywoodproduktion feiert in ihren Festtagsstreifen gern die treusorgende Hand der Übermutter, die alles tut, damit es Mann und Kindern gut geht. Familienglück ist höchstes Mutterglück. So soll es sein. Und wenn sich mal ein Schwarzenegger nach Hollywoodmutterart daran versucht, alles so richtig schön heimelig zu machen, dann merkt er schnell, wie schwer das ist, und richtet ein Familienchaos an. Außerdem: Warum flimmernde Fernseher in Weihnachtsfilmen von zerrütteten Familien zeugen und warum eine Ex-Killerin erst die Drecksarbeit erledigt und dann doch wieder Bescheidenheit übt. ■ Von Verena Mund
Ein Bild des Jammers: Jane Wymans Gesicht spiegelt sich in der dunklen Mattscheibe des neuen Fernsehers mit der roten Schleife. Carey, so heißt sie in diesem Kinofilm, hält die Hand ihrer Tochter, die selbst schon halb aus dem Bild gerückt ist. Die Kinder sind bereits groß und planen ihre eigene Familie. Carey ist Witwe, und bald werden auch ihre Kinder vollkommen aus dem Blickfeld verschwunden sein. Noch bis vor kurzem war Carey der Mittelpunkt der Familie, war sie diejenige, die über alle Sorgen und Geheimnisse (und Gerüchte) Bescheid wußte. Das Kommunikationszentrum der Familie. Eben Mutter.
Doch dann ist sie aus dem gemächlichen, gemütvollen Reservat des Mütterlichen für kurze Zeit ausgebrochen, hat sich in den bedeutend jüngeren Gärtner Ron Kirby (Rock Hudson) verliebt und am Ende doch auch auf die späte Liebe verzichtet – der Kinder wegen. Und von denen hat sie nun als Abschiedsgeschenk vor deren Start ins eigene Leben einen Fernseher zu Weihnachten bekommen: ganz für sich allein. Der soll jetzt zu ihrem Kommunikationszentrum werden (und nicht der junge Ron Kirby). Ein Knopfdruck, erklärt der Lieferant, und alles ist da: all the company you want.
„Was der Himmel erlaubt“ (“All That Heaven Allows“, USA 1955) – der Himmel sei nun mal geizig, kommentierte Douglas Sirk den Filmtitel. „Zynisch“ wäre vielleicht noch treffender gewesen, aber Sirks Film ist ja auch kein Weihnachtsfilm. Für einen Weihnachtsfilm reicht ein einfaches Happy-End nicht aus, das Happy- End muß obendrein mit Weihnachten konform gehen. Zweifellos kann man sich vorstellen, wie Ron und Carey bis in alle Ewigkeit Weihnachten miteinander feiern, nur: Das würde nicht dem mütterlichen Sinn dieses Festes entsprechen. Da müßte Carey schon als Mutter, am besten als Großmutter, mit ihren Kindern feiern. Und Ron würde hier zum Problem.
Weihnachten ist das Fest der Familie, das Fest der Kinder. Das meint natürlich, wenn auch unausgesprochen: das Fest der Mütter. Wer sonst sollte schließlich dafür sorgen, daß es ein schönes Fest wird, ein Fest des Gebens? Väter kriegen nicht mal das Einkaufen der Geschenke geregelt, dafür muß man nicht erst Arnold Schwarzenegger in „Versprochen ist versprochen“ (“Jingle All The Way“, USA 1996) zuschauen. Zu Weihnachten, dem Fest der Geburt, gehört unbedingt eine Mutter. Aber nicht bloß zum Backen und Kochen. Weihnachten braucht Atmosphäre, das ist das Schwierigste von allem.
Klar, daß der Altruismus schnell eine Eigendynamik entwickelt. Die Geschichte hat, wer wüßte es nicht, mehr als eine Seite: Wer ist am meisten entäuscht, wenn sich die Familie zu Weihnachten nicht vollständig versammelt? Und wer fühlt sich persönlich beleidigt, wenn an Weihnachten der Fernseher läuft? Fernsehen heißt: Man hat sich nichts mehr zu sagen, Familie im Eimer, Mutter hat versagt.
Wenn Weihnachtsfilme mit einem Fernseher beginnen, hängt der Haussegen meist schief. Mit der Familie in Nora Ephrons „Schlaflos in Seattle“ (“Sleepless in Seattle“, USA 1993) dagegen ist alles in Ordnung, eigentlich. Man mag und versteht sich, spricht über seine Probleme, und auch in der Küche bekommt man doch alles mehr recht als schlecht in den Griff. Aber an Weihnachten, besonders an Weihnachten leidet der kleine Jonah darunter, daß seine Mutter gestorben ist. Es ist Heiligabend, als Jonah meint, etwas tun zu müssen. Doch er wendet sich nicht an eine TV-Show, die für Kontaktanzeigen oder ähnlichen Beistand vielleicht in Frage käme, Jonah guckt an diesem Abend gar kein Fernsehen (an Silvester schon). Nein, am Heiligabend ruft Jonah bei einer Radio-Talkshow an, Thema: Ihr Wunsch zu Weihnachten. Was Jonah sich wünscht, ist klar, und am Ende wird eine Art erfolgreiche Kontaktanbahnung daraus.
Aber ein Radio muß es schon sein. Radios strahlen nicht bloß etwas Vor-TV- Zeitliches aus, sie haben zudem etwas Übernatürliches an sich. Die Töne, die Stimmen: Sie kommen aus der Luft. Bilder machen nie den Eindruck, auf diese Weise in den Kasten zu kommen. Bilder und Glauben sind kein ausgemachtes Paar. „Ich glaube nur, was ich sehe“ heißt genau das eben nicht. Radio dagegen scheint mit Magie zu tun zu haben, scheint so zu funktionieren, wie Engel das machen, sich mit oben zu unterhalten – so wie Cary Grant in „Ist das Leben nicht schön?“ (“It's a Wonderful Life“, USA 1946) als Clarence, der Engel ohne Flügel.
Da, wo Clarence herkommt, redet man überhaupt nur auf diese Weise. Man erinnere sich an die blinkenden Sterne am Firmament, an Joseph und Gabriel, wie sie sich zufunke(l)n. Clarence solle als Schutzengel nach unten, sich die Flügel verdienen. Die Gebete der Bürger von Bedford Falls werden oben wie Anrufe in einer Radiosendung vernommen, all die Himmelsanrufer bitten für George Bailey. Der Film nimmt zunächst einen telefonen Anfang, und in die bildhafte Erzählung wird erst danach und scheinbar von Engelshand eingeführt.
Die Gebete hört man nicht in der konkreten Verbindung mit den Gesichtern, die (scheinbar) zweifelsfrei zeigen, wo die Stimmen herkommen, sondern es sind unterschiedliche Häuserfronten zu sehen, die einen glauben machen, daß die Leute von hier aus sprechen. Ein eher abstrakter Beginn. Abstraktion hat etwas mit Glauben zu tun. Und Glauben ist keine Frage von Einfältigkeit, sondern eine Sache des Gebens. Wenn geglaubt wird, ist das eine Kreditangelegenheit. Ebenso wie eine der Mütter.
In Frank Capras Film ist nicht die Zahlungsunfähigkeit der Banking & Loan als solche das eigentliche Problem, weswegen jedoch George Bailey dummerweise meint, sich umbringen zu müssen. Die Krise fängt erst dann an aussichtslos zu werden, als Bailey den Glauben an die eigene Sache, an sich selbst verliert, als er, nur noch von Verzweiflung erfüllt, vor dem reichen Widerling Potter auf den Knien rutscht. Erst da ist klar, daß er nicht kreditfähig ist, und man glaubt ihm aufs Wort, daß er allein bestimmt keine Lösung finden wird.
Natürlich wird Bailey gerettet. Aber bloß, weil er eine Mutterader hat. Clarence kann ihn nur deshalb retten, weil er an seine mütterlichen Instinkte rührt. Der Trick des Engels, ihn vom Selbstmord dadurch abzulenken, daß er seine eigene Rettung aus dem Fluß provoziert, würde bei jemandem wie dem hartherzigen Potter nicht funktionieren. (Und Clarence hätte seine Flügel bis heute nicht.) Bailey aber hat sich schon als kleiner Junge um seine Mitmenschen gesorgt und nichts, selbst die eigenen Träume nicht, konnte ihn davon abhalten, sich für sie einzusetzen. Mütterlich und heldenhaft. Was redundant ist, denn die Mutter ist ein Urbild des Helden. Wer die „Terminator“-Filme, „Aliens“ oder auch „The Long Kiss Goodnight“ gesehen hat, dem wird das nicht neu sein. Und Mary, Georges Frau und die zweite Säule seiner Rettung, ist in eine Art Vorläuferin von Sarah Connor, Ripley und Samantha Caine. Clarence hätte George Bailey noch so oft retten können, das fehlende Geld wäre davon allein nicht zusammengekommen. Auch ist Clarence- Abschiedsgruß an George – „no man is a failure who has friends“ (“ich heule jedesmal mehr“) – zwar sehr rührend, aber damit ist nur die halbe Wahrheit gesagt. Erst Mary sorgt dafür, daß die Freunde von den Schwierigkeiten erfahren. Ohne Marys Vernetzungstechnik wäre alles zu spät gewesen. Aber man soll nicht nach Wahrheit rufen, wo Glauben gefragt ist. Glauben ist eine Sache der Mütter: sie sind seine vordersten Repräsentanten, und sie stehen auch für ihn gerade. Allerdings müssen sie dafür im Hintergrund bleiben.
Marys Leistungen erscheinen denn auch eher unauffällig und reichlich kurz auf der Bildfläche (wie das so ist mit Mütterarbeit). Was das jedoch für eine Arbeit gewesen sein muß, all die Leute zusammenzutrommeln, wieviel Logistik, Anstrengung und Einfallsreichtum notwendig waren, bei den Wetterverhältnissen und der Kürze der Zeit – das könnte glatt den Stoff für einen Actionfilm hergeben.
Hindernisse in Actionfilmen, und das gilt auch für solche, die an Weihnachten spielen, werden von Männern aus dem Weg geräumt. Samantha Caine in „The Long Kiss Goodnight“ (USA 1996) hat hingegen von Anfang an die Weihnachtshosen an. Das hat zunächst mal gar nichts mit ihrer Vergangenheit als Killerin in Diensten des CIA zu tun, denn davon hat sie anfangs nicht die Spur einer Ahnung. Samantha leidet unter „retrogarder Amnesie“, und das erste, woran sie sich erinnern kann, liegt acht Jahre zurück: ihre „Geburt“ am Strand von New Jersey. Nackt und im zweiten Monat schwanger. Vater: Fehlanzeige (wie in einer Weihnachtsgeschichte).
Samanthas jetziger Freund hat unendlich viel Zeit zum Kinderhüten, und so kann sie sich mit ruhigem Gewissen an die Arbeit machen, als ihre Erinnerung ebenso plötzlich wieder einsetzt, wie finstere Kollegen von einst auftauchen und sie und ihre Lieben bedrohen. Irgendwie gerät Samantha bei diesem Identitätshausputz mit unglaublichen Stunts und Special Effects auch an den runtergekommenen Privatdetektiv Mitch Henessey. Der jedoch erweist sich nicht unbedingt als Profi, muß nicht selten sogar von ihr auch noch rausgehauen werden.
Doch bevor das alles losgeht, feiert auch sie ein unbeschwertes Weihnachtsfest ohne Fernseher. Und sind erst alle Bomben und Bösewichte aus der Welt geschafft und das Kind gerettet, dann kann man sogar ins Fernsehen kommen und muß nicht bloß davor sitzen. Aber auch Samantha macht sich hier unsichtbar, so wie Mary, und überläßt es dem Looser Mitch, die Show auszukosten, auf daß er wenigstens einmal vor seinem Sohn glänze.
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