piwik no script img

Zu laut gefeiert? Geburtstag in der Zelle

■ Polizei ließ eine 44jährige Frau fünf Stunden in einer Zelle schmoren, weil sie angeblich zu laut war / Sie hatte mit einer Freundin in ihren Geburtstag hineingefeiert

So hatte sich Martha Kirch* ihren 44. Geburtstag nicht vorgestellt. Die ersten Stunden des 17. Dezembers verbrachte die Kunsttherapeutin aus Schwachhausen in einer kahlen Zelle des Polizeireviers in der Parkallee. „Ich saß in der Zelle und wußte nicht warum“, erinnert sie sich. Auslöser der Situation: Drei Tina-Turner Lieder, die zu laut aus den Boxen hallten.

Zusammen mit ihrer Vermieterin bewohnt sie ein hellhöriges Bremer Haus im vorderen Schwachhausen. Im zweiten Stock befindet sich die psychotherapeutische Praxis der Vermieterin. „Nur in Zimmerlautstärke“ habe sich Kirch bewegen dürfen, jeder Lärm sei der Vermieterin zu viel gewesen. Vor einem Monat wurde ihr deshalb gekündigt. „Ich bin existentiell durch ihr Verhalten gefährdet“, sagt die Vermieterin. Inzwischen haben sich die Parteien auf einen Auszug im Januar geeinigt.

Der Mietstreit war noch nicht ausgestanden, als Kirch in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember mit einer Freundin in ihren Geburtstag hineinfeierte. Um Mitternacht, berichtet die Untermieterin, tanzten die zwei zu Musik von Tina Turner. In gehobener Lautstärke, doch „höchstens drei Lieder lang“.

Die Vermieterin holte die Polizei. Die Ordnungshüter kamen, die Musik wurde leiser gestellt. Als die Beamten wieder abgezogen waren, trat Kirch in den gemeinsamen Hausflur. Laut habe sie gerufen, daß sie das nicht von ihrer Vermieterin, einer 68erin und Therapeutin, genau wie sie, erwartet habe. Und knallte ihre Tür zu.

Was dann passierte, erinnert an einen schlechten Traum. Die beiden jungen Beamten wurden nocheinmal gerufen, kamen, legten der Untermieterin nach eigenen Angaben Handschellen an und führten die verduzte Frau ab. Widerstand habe sie keinen geleistet, doch die Beamten seien äußerst aggressiv aufgetreten. So beschreibt es auch ihre Freundin, der die Sektlaune längst vergangen war. Ihre Vermieterin hält dagegen: Kirch habe „unerträgliche Randale“ veranstaltet und „fürchterlich herumgeschrien“. Den Polizeieinsatz hält sie für „angemessen.“

Den Rest der Nacht verbrachte Kirch in einer Zelle ohne Toilette und Matratze. Das Licht brannte die ganze Nacht. Als sie zum dritten Mal auf die Toilette wollte, reagierte niemand. Sie urinierte auf den Boden. Eine Blasenentzündung habe sie sich in der Zelle zugezogen. Erst um 5.15 Uhr ließ man Kirch gehen. Auch ihre Freundin, die um ein Uhr nachts in der Polizeiwache vorsprach, konnte ihr nicht helfen.

„Ich kam mir vor wie ein Hund in einem Zwinger“, berichtet Kirch. Das Verhalten der Polizei sei „erniedrigend“ gewesen. An ihrem rechten Handgelenk sind blaue Flecken zu sehen: Die Handschellen seien zu fest gewesen. Ihr Rechtsanwalt Bernhard Docke prüft, ob Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung und eine Dienstaufsichtsbeschwerde gestellt werden können. „Skandalös“ sei das Verhalten der Beamten gewesen, und „unverhältnismäßig“, sagt er.

Die Polizei verteidigt ihr Vorgehen. Die Ruhestörung hätte nur durch Verwahrung der Frau beendet werden können, sagt Polizeisprecher Frank Kunze. Daß die Kollegen überreagiert hätten, glaubt er nicht. „Man legt keiner Frau Handschellen an, die sich nicht wehrt.“

Das Amtsgericht werde jetzt routinemäßig prüfen, ob die „Verwahrung“ rechtmäßig oder überzogen war. cd/Foto: Kay Michalak

* Name geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen