: Spanien und die Sorglosen
Die reichen EU-Staaten sollen mehr Geld in den Haushalt zahlen als Länder wie Spanien, findet Regierungspräsident Aznar. Sein Land profitiert am meisten ■ Aus Madrid Reiner Wandler
Als Don Quijote im Kampf mit den Windmühlen sehen Spaniens Karikaturisten José Maria Aznar. Doch der spanische Regierungschef läßt sich nicht beirren im Finanzstreit mit den anderen Länder EU. Aznar verteidigt unermüdlich die Rechte des „Trios der Kohäsion“ – Spanien, Portugal und Griechenland – gegen die „Viererbande im Norden“ – Holland, Schweden, Österreich und Deutschland. Die Regierung in Bonn, 1997 mit elf Milliarden Ecu (22 Milliarden Mark) größter Nettozahler der EU, wolle den armen Südeuropäern an die Töpfe, lautet der Vorwurf aus Madrid. Spanien war im vergangenen Jahr mit 5,9 Milliarden Ecu (rund 12 Milliarden Mark) der größte Nettoempfänger europäischer Hilfen.
Ob der Nahverkehr in den großen Städten, Infrastruktur für den armen Süden oder Altstadtsanierungen – die EU-Milliarden haben in Spanien nachhaltige Wirkung hinterlassen. Einst eines der Schlußlichter der Gemeinschaft, gehört das Land heute zur Spitzengruppe der Währungsunion. „Spanien geht es gut“, jubelt auch Aznar. 3,8 Prozent Wirtschaftswachstum führt dazu, daß einer von zwei neugeschaffenen Arbeitsplätzen in der EU in Spanien entsteht. Das Haushaltsdefizit ist von 2,4 Prozent Anfang des Jahres auf 1,9 Prozent gesunken. Bis 2002 sollen es null Prozent sein, und das obwohl der Staat durch eine Steuerreform jährlich 776 Milliarden Peseten (4,7 Milliarden Ecu) weniger einstreichen wird.
Trotz dieser Erfolgsmeldungen will Aznar nicht auf die Zuschüsse aus Brüssel verzichten. „Der Beitritt zur Währungsunion ist kein Kriterium für die Einstellung der Hilfen“, findet er. Spanien liege mit 77,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vom EU- Durchschnitt noch immer weit unter den 90 Prozent, die Kohäsions- und Strukturfonds der EU als Entwicklungsziel für alle Länder der Union anstreben. Deshalb müsse die Gemeinschaft gerade angesichts der bevorstehenden Osterweiterung zuerst einen Finanzbedarf ermitteln, bevor der Haushalt festgeschrieben wird.
Aznars Rechnung ist einfach: Sobald Polen, Ungarn, Tschechien, Estland und Slowenien aufgenommen werden, zählt die EU 63 Millionen Einwohner mehr. Das sind 17 Prozent mehr als bisher. Das BIP der Union wächst nur um 220 Milliarden Ecu, gerade mal drei Prozent. Die Kandidaten leben zudem überdurchschnittlich stark von der Landwirtschaft. Sollen sie von Kohäsionsfonds und Agrarzuschüssen ebenso begünstigt werden wie die Altmitglieder, steigt der EU-Finanzbedarf zwangsläufig. „Wir können nicht mehr Union mit weniger Geld machen“, pflichtet der Präsident des EU-Parlaments, José Maria Gil- Robles seinem Landsmann und Parteifreund Aznar zu.
Über die Finanzierung hat sich Madrid schon Gedanken gemacht. „Anteilsmäßig, je nach Pro-Kopf- BIP sollen die Länder bezahlen.“ Damit würden vor allem diejenigen zur Kasse gebeten, die Madrid „Gruppe der Sorglosen“ nennt. Gemeint sind damit Frankreich, Belgien, Dänemark, Italien, Luxemburg und Großbritannien, die gemessen am BIP weit weniger einzahlen als Deutschland. Vor allem die Briten leisten weniger, als ihnen bei einem gerechten Reichtumskriterium zukäme, so Madrid. Schuld daran ist eine Regelung, die einst Margaret Thatcher durchsetzte. Da die Briten kaum Agrarhilfen in Anspruch nehmen, bekommen sie jährlich rund fünf Milliarden Ecu rückvergütet.
Für eine gerechte Umverteilung der EU-Lasten wäre Deutschland zu gewinnen, immerhin trägt sie das Land zu 60 Prozent. Würde Madrid nicht darauf bestehen, ähnlich wie bei den Einkommensteuern eine Progression einzuführen: Wer mehr hat, soll übermäßig stark zur Kasse gebeten werden. Würde Spanien bei einem solchen Modell noch weniger als bisher bezahlen, kämen auf Deutschland zusätzliche Beitragszahlungen zu.
Außenminister Joschka Fischer versuchte vergangene Woche bei einem Blitzbesuch in Madrid die Wogen zu glätten. Denn die Bundesregierung muß während der nächsten sechs Monate das Finanzproblem lösen. Auf einer Pressekonferenz von Fischer mit seinen spanischen Kollegen Abel Matutes war viel von einem „historischen Kompromiß“ die Rede. „Es ist völlig klar, daß dieser Kompromiß nicht die Entwicklungschancen der Länder im europäischen Süden nachdrücklich verschlechtern darf“, versuchte Fischer Matutes zu beruhigen. Als er merkte, was ihm da ausgerutscht war, fügte er schnell hinzu: „.. oder verschlechtern darf. Ich lasse das nachdrücklich weg.“ Matutes nickte zustimmend, hatte die Übersetzerin den Versprecher doch wohlweislich ausgespart. Abends war er dann doch in den Nachrichten.
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