: Schönwetter und Straßendreck
Hamburg im Film: Für jede Zielgruppe gibt es eine Stadtansicht. Fernsehen und Filmförderung forcieren die optische Ausbeutung der Metropole. Aber das Witzeln darüber ist nur kaschiertes Hanseatentum, findet ■ Malte Hagener
„Hamburg im Film? Ach so, der Landungsbrücken-Schwenk und die Alsteranleger-Ansicht.“ So oder ähnlich lauten Äußerungen, die sich vor allem aus Erfahrungen mit den Bildern des TV-Vorabendprogramms speisen. Doch nicht erst seit Fatih Akins Kurz und Schmerzlos und Yüksel Yavuz' Aprilkinder hat sich der filmische Blick auf die Hansestadt geweitet, und anstelle der Tourismuszentralen-Bilder bekommt fast jede Zielgruppe ihre eigene Stadtansicht präsentiert.
Bis vor kurzem war ein beliebter Witz in der Filmszene das Genre des Förderungs-Roadmovies. Filmförderung ist – jeweils zur Hälfte von Kultur- und Wirtschaftsbehörde finanziert – Ländersache, und von der Summe muß ein Großteil im fördernden Bundesland ausgegeben werden. Unterstützen nun mehrere Einzelstaaten ein bestimmtes Projekt, so muß dies in die logistische Umsetzung integriert werden. Eine Lösung ist, daß die Protagonisten des Films diese Odyssee nachvollziehen, so daß sich die Handlung von Köln nach Berlin und weiter nach Hamburg oder München bewegt – je nachdem, woher die Fördergelder kommen. Die Filmreise wird also nicht mehr durch die Handlung vorgegeben, sondern gleicht der Zickzack-Fahrt zwischen den Geldtöpfen.
Heutzutage sind zwar die schlimmsten Auswüchse dieser Antrags-Rallye überwunden, doch gibt es immer wieder Fälle, in denen die Wahl des Drehortes von der Filmförderung abhängt. Dies ist wirtschaftlich als Standortpolitik völlig einsichtig und muß auch vom künstlerischen Standpunkt her nicht verkehrt sein, denn nicht alle Geschichten benötigen einen bestimmten Ort, und teilweise können veränderte Hintergründe auch neue Beziehungen eröffnen. Inzwischen wird allerdings häufig bei der Vergabe der Mittel darauf geachtet, daß Filme mit einem Hamburg-Bezug gefördert werden. Ob dabei dann fremdenverkehrstaugliche Schönwetter-Dias wie in Der Campus oder die Straßen von Altona wie in Kurz und Schmerzlos auf der Leinwand erscheinen, hängt dann von den Notwendigkeiten der Geschichte und von der angestrebten Zielgruppe ab.
Stadtarchitektur und Stadtplanung sind immer virtuell, weil sie in ihrer Gesamtheit subjektiv nicht erfahrbar sind. Individuen entwerfen ihre Routen und Pfade selber und suchen ihre Lieblingsorte, die im eigenen Alltag eine mythologische Qualität als Treffpunkte, Ruhepole oder Futterstätten annehmen. Diese imaginären Qualitäten von Orten unterscheiden sich jedoch grundlegend von einer Stadt, wie sie sich auf dem Plan darstellt. Im Idealfall konstruiert ein Film ein ebenso künstliches Gebilde, das dennoch eine interne Logik besitzt, die einer äußeren in vielem überlegen ist. Meist wird jedoch eine Stadt im Film einfach als pittoresker Hintergrund oder als Bildtapete genutzt. Allzu selten nutzen Filme die Möglichkeiten aus, die sich durch reale Drehorte ergeben, denn gerade bestimmte Zielgruppen lassen sich durch wenige, dafür aber gezielt eingesetzte Drehorte ansprechen.
Einen Pluralismus der Hamburg-Bilder vertritt Christine Berg, die das Location-Büro der Hamburger Filmförderung leitet. „Hamburg zeichnet sich als Drehort gerade dadurch aus, daß es so viele Facetten hat: Hamburg steht für Alster, Blankenese, schöne Hotels, aber auch für den Hafen, schmuddelige Ecken oder Hochhaus-Ghettos. Es sollte alles auf der Leinwand zu sehen sein.“ Das Location-Büro, das seit sechs Jahren existiert, betreut inzwischen jährlich 100 Projekte, denen in Hamburg bei der Logistik assistiert wird, vor allem bei Drehgenehmigungen und der Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen. Die Spanne reicht dabei von studentischen Kurzfilmen über Fernsehserien bis zu teuren Filmproduktionen. Der Service ist kostenlos, das Ziel, so Berg, „den Drehort Hamburg transparent zu machen“.
Wie auch immer man zur offiziellen Version steht, Tatsache ist, daß Hamburg vor allem auf dem Bildschirm, aber auch verstärkt auf der Leinwand zu sehen ist: im Fernsehen vom familienkompatiblen Kiez in Großstadtrevier über den Hotel-Schick in Girlfriends, inzwischen von der Fleetinsel auf die Kehrwiederspitze umgezogen, bis zum Wilhelmsburg aus Einsatz Hamburg-Süd; im Film von elbblickenden Redaktionsbüros in Schtonk bis zum Karo-Viertel in dem Überraschungserfolg Härtetest. Und Tatsache ist auch, daß dies zu einem nicht geringen Teil auf die Filmförderung zurückzuführen ist, die mit einem Jahresetat von über 20 Millionen Mark nach Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin-Brandenburg die viertgrößte Länderförderung ist. Seit 1995 die kulturelle und die wirtschaftliche Förderung unter dem neuen Dach der Filmförderungs GmbH zusammengelegt wurde, hat sich das Profil der unterstützten Projekte natürlich verändert, und auch das Fernsehen gewinnt wie in anderen Bundesländern stetig Einfluß.
Während offizielle Stellen nicht müde werden, Hamburgs Ruf als Medienstadt zu betonen, gehört es in der Hansestadt zum guten Ton, sich über diese offiziellen Verlautbarungen lustig zu machen. Egal, ob man über Tageszeitungen, Filmproduktionen oder Multimedia-Firmen diskutiert, immer läßt sich ein Gegenargument finden, warum die Stadt nun doch nicht so wichtig ist, wie sie von sich selber annimmt. Eigentlich fühlt man sich ganz wohl in der Haltung, daß hier zwar alles ein bißchen kleiner und provinzieller ist, doch dafür auch überschaubarer. Vielleicht ist dieses Understatement in Wirklichkeit auch nur Ausdruck eines kaschierten Hanseatentums, die intellektuelle Version von Ladage & Oelke sozusagen.
Dabei sind es durchaus illustre Projekte, die in letzter Zeit in Hamburg gedreht wurden: Die Berliner Firma X-Filme von Tom Tykwer, Dani Levy, Wolfgang Becker und Stefan Arndt produzierte erstmals den Film eines Nicht-Gesellschafters: Absolute Giganten, das Regiedebüt des Schauspielers Sebastian Schipper. Sönke Wortmann hat mit St. Pauli Nacht nach dem Hamburg-Krimi von Frank Göhre nach mehreren populistischen Tiefschlägen wieder einmal ein interessantes Projekt am Start. Und Romuald Karmakar drehte in einer ausgedienten Flugzeughalle in Bad Oldesloe unter dem Titel Manila das wohl spannendste Projekt. Auf diese und andere Hamburg-Bilder darf man im nächsten Jahr getrost gespannt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen