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„Sie sind ganz gut davongekommen“

■ Keine Amnestie für DDR-Funktionsträger, fordert der frühere Bürgerrechtler Hans-Jochen Tschiche

taz: Braucht die Bundesrepublik Deutschland eine Amnestie für ehemalige Funktionsträger der DDR?

Hans-Jochen Tschiche: Das Stichwort Amnestie sagt: Schwamm drüber, es war ja nicht so schlimm. Damit haben die Opfer des DDR-System verständlicherweise ein großes Problem. Wer wegen seiner politischen Überzeugung in der DDR aus der Lebensbahn geworfen wurde, mußte die Erfahrung machen, daß er nach der Wende keine Wiedergutmachung erfuhr.

Das geht wahrscheinlich auch gar nicht. Wenn ich mir dagegen vor Augen halte, wie das Ende der DDR auf deren Funktionärsträger insgesamt rückgewirkt hat, so sind sie im Großen und Ganzen gut davongekommen. Wir brauchen keine Amnestie und auch keine Diskussion darüber. Ende 2000 verjähren Regierungskriminalität und DDR-Unrecht ohnehin.

Warum fordern dann jetzt plötzlich auch Ost-Bürgerrechtler eine Amnestie?

Es hat sich gezeigt, daß eine Auseinandersetzung mit unserer eigenen DDR-Geschichte einen angstfreien Raum braucht. Die juristische Aufarbeitung der DDR hat die gesellschaftliche und politische eher behindert als gefördert. Wer als ehemaliger Entscheidungsträger Angst vor einem Verfahren haben muß, wenn er die Vergangenheit offenlegt, redet natürlich nicht. Erschwerend kommt hinzu, daß es nicht isoliert um die DDR-Geschichte geht, sondern um die Geschichte des Kalten Krieges, deren Produkt die DDR war. Und da hat es auf beiden Seiten Menschenrechtsverletzungen gegeben. Ein komplizierter Stoff, der ein „hier sind die guten, dort die Bösen“ nicht zuläßt. Ich denke, daß Schorlemmer auf seine Weise darauf hingewiesen hat.

Die CSU bezeichnet Schorlemmers Amnestie-Vorstoß als Erschwernis für das Zusammenwachsen von Ost und West.

Jeder in Deutschland hat das Recht, sich in Debatten einzumischen. Die Frage ist nur, ob er kompetent genug dafür ist. Die CSU ist es nicht. Sie ist offensichtlich immer noch geprägt vom Kalten Krieg.

Brauchen die DDR-Bürger nicht aber immer wieder solche Anstöße von außen? Von selbst sind sie offenbar nur beschränkt bereit, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Wer in einem System gelebt hat, machte gewisse Anpassungsrituale mit. Die Gesamtbevölkerung hat im Osten deshalb ein ungutes Gefühl, wenn sie an ihre Vergangenheit erinnert wird. Deshalb fällt es schwer, sich mit der eigenen Verantworung auseinanderzusetzen. Das innergesellschaftliche Gespräch ist somit schwierig. Da helfen auch Anstöße von außerhalb nichts. Sie führen im Gegenteil zu einer verständlichen Abwehrhaltung. Ich war der illusionären Auffassung, wir würden es anders machen als die Bundesrepublik Deutschland in den Jahren nach 1945.

Wer beispielsweise nach dem Kriegsende aus dem Konzentrationslager kam, mußte erleben, daß etwa die Richter der Nazizeit weiter in ihrem Amt blieben. Aber es geht offensichtlich nicht anders. Offenbar ist fast eine Generation notwendig, um sich gerecht und kompetent mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Interview: Nick Reimer

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