: CSU-Vorstoß ohne Aussicht auf Erfolg
■ Eine Grundgesetzänderung ist für die Staatsangehörigkeitsreform nicht erforderlich
Freiburg (taz) – Der Streit um die doppelte Staatsbürgerschaft wird jetzt auch mit verfassungsrechtlichen Argumenten ausgetragen. Der scheidende CSU-Vorsitzende Theo Waigel erwägt bereits eine Klage beim Bundesverfassungsgericht. „Selbstverständlich werden wir jeden Weg nehmen, um diese falsche innenpolitische Weichenstellung zu verhindern“, sagte Waigel bei der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth.
Schützenhilfe bekam er vom renommierten Bonner Staatsrechtler Josef Isensee, der im geplanten rot-grünen Gesetz einen „Staatsstreich des Parlaments“ erblickte. Nur durch eine Verfassungsänderung könne die Staatsangehörigkeit „wesentlich umstrukturiert“ werden, sagte Isensee der Welt. Um das Grundgesetz zu ändern, wäre allerdings eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich, die nach derzeitiger Lage ausgeschlossen werden kann.
Zur Begründung verwies Isensee auf die Grundgesetzartikel 16 und 116, die nach seiner Auffassung die Staatsangehörigkeit „in ihren hergebrachten Strukturen garantieren“. Doch das ist reichlich abwegig, denn beide Bestimmungen haben mit der erleichterten Einbürgerung von hier lebenden Ausländern nicht das geringste zu tun. Artikel 16 verbietet es, Deutschen die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Und Artikel 116 betrifft nur im Ausland lebende deutsche „Flüchtlinge und Vertriebene“.
Bisher jedenfalls war die deutsche Rechtswissenschaft fast einmütig der Auffassung, daß der Erwerb der Staatsangehörigkeit vom Bundestag per Gesetz geregelt wird. Auch Isensee scheint dies erst zu stören, seit sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament geändert haben.
Kein Wunder, daß der konservative Staatsrechtler umgehend Widerspruch erntete. In einem Interview des Berliner Tagesspiegel erklärte der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Es trifft nicht zu, daß eine Änderung beim Staatsangehörigkeitsrecht eine Verfassungsänderung voraussetzt.“ Böckenförde verwies dabei auf eine Karlsruher Entscheidung aus dem Jahr 1990, an der er selbst mitgewirkt hatte.
Damals wurde zwar das kommunale Ausländerwahlrecht in Hamburg und Schleswig-Holstein kassiert, weil nur das „deutsche Volk“ die Staatsgewalt legitimieren könne. Andererseits, so Karlsruhe damals, könne der Gesetzgeber aber durchaus der „Veränderung in der Zusammensetzung der Einwohnerschaft“ durch erleichterte Einbürgerung Rechnung tragen.
Konkret heißt es in diesem Urteil: „So überläßt das Grundgesetz die Regelung der Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit und damit auch der Kriterien, nach denen sich die Zugehörigkeit zum Staatsvolk des näheren bestimmt, dem Gesetzgeber.“ Karlsruhe verlangt also ausdrücklich keine Verfassungsänderung, sondern nur ein einfaches Gesetz.
Angesichts dieser Rechtsprechung kann die rot-grüne Regierungsmehrheit einer Verfassungsklage beruhigt entgegensehen. Kommenden Mittwoch will Innenminister Schily (SPD) seinen Gesetzentwurf präsentieren. Am Vortag wird noch eine rot-grüne Koalitionsrunde beraten.
Mit ihren juristischen Vorstößen gegen die erleichterte Einbürgerung hatte die CSU auch in der Vergangenheit wenig Sachkenntnis bewiesen (taz vom 30.10.98). In einem ebenfalls substanzlosen Vorstoß hatte Ende Oktober Ingo Friedrich, der Vorsitzende der CSU-Europagruppe, die EU- Kommission zum Eingreifen aufgefordert. Die mögliche Zunahme der Deutschen um bis zu vier Millionen Menschen verstoße gegen „Treu und Glauben“ des Maastrichter Vertrags, meinte Friedrich. Dabei hatte aber auch Maastricht nichts daran geändert, daß der Erwerb der Staatsbürgerschaft nach wie vor ausschließlich national geregelt wird. Christian Rath
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