Spießbürger und andere Südafrikaner

Die Verwandlung der Trekkerherrlichkeit in ein Vorgartenidyll: Auch in Südafrika wartet man vergeblich auf den Wenderoman. Statt eines Geschichtspanoramas pflegen die Autoren kleinteilige Vielfalt  ■ Von Manfred Loimeier

Die Mehrzahl der Bücher aus Afrika, die deutsche Verlage in diesem Herbst publizierten, stammt aus Südafrika. Ein „Wenderoman“, wie er für Deutschland ersehnt wird, ist auch dort nicht einfach auf Bestellung zu haben. Statt den politischen Wandel vom Ende der Apartheid bis zur Demokratie mit großem Gestus zu beschreiben, werden erst einmal die einzelnen Bausteine ausgebreitet, aus denen sich ein Gebäude der Gesellschaft zusammensetzen läßt.

Der 1957 in Pretoria geborene Schriftsteller Ivan Vladislavic schließt ohnehin aus, daß „es nötig ist, alle Elemente der südafrikanischen Kultur zu vereinen. Eine sich vereinende Kultur müßte es einer Vielzahl von Menschen erlauben, extrem verschieden zu sein, müßte es zulassen und vielleicht sogar fördern, anders, verschieden zu sein.“

In seinem Roman „Der Plan des Baumeisters“ liefert Vladislavic eine Parodie auf das Selbstverständnis jener Südafrikaner, die sich als Abkömmlinge einer Pioniernation definieren. Die Nachfahren der Vortrekker, die einst nach Nordosten zogen, haben sich bei Vladislavic zu Vertretern einer argwöhnischen, kleinkarierten Stadtrandbevölkerung gewandelt, in deren Mund der Satz „Ich bin ja eher der Abenteurer-Typ“ jede Glaubwürdigkeit verliert. Lakonisch erzählt Vladislavic seine mitunter bizarre Geschichte eines ungewöhnlichen Hausbaus. Der Baumeister, ein Herr Nieuwenhuizen, läßt sich „Vater“ nennen und erinnert damit zweifach an die Gründergeneration des Burenstaats. Die Sonnenuntergänge in freier Natur und die Wagenräder der Planwagen sind in der Welt von „Vaters“ verstohlen hinter Gardinen hervorlugenden Nachbarn zu kitschigen Zierstücken der Gartenmauer verkommen.

Vladislavics Karikatur der Spießbürger Südafrikas gibt eine ernüchternde Antwort auf die Frage nach der Entwicklungsbereitschaft in der gegenwärtigen südafrikanischen Gesellschaft, obwohl der Autor nie direkt auf den südafrikanischen Alltag anspielt. Wie sein Vorbild J.M. Coetzee bricht Vladislavic mit der traditionell realistischen Erzählweise in der südafrikanischen Literatur, für die vor allem André Brink und Nadine Gordimer stehen. „Livingstones Gefährten“ heißt der vierte einer auf fünf Bände angelegten Ausgabe von Gordimers Erzählungen in deutscher Übersetzung. Diese Geschichten der Literaturnobelpreisträgerin aus den 70er Jahren veranschaulichen die nur zur Schau getragene Liberalität vermeintlich oppositioneller weißer Südafrikaner. Die Titelgeschichte ist eine Parabel auf das anachronistische, verloren wirkende Dasein der Nachfahren europäischer Einwanderer im Dschungel Afrikas, wo niemand mehr den Weg zu den Gräbern der ersten Siedler findet und wo weder Europa noch Afrika eine ideelle oder reale Heimat bilden.

Die eindringlichste Neuerscheinung aus Südafrika ist der autobiographische Roman „Der Junge“ von J.M. Coetzee. Coetzee beschreibt eine Kindheit Anfang der Fünfziger, und obwohl er nie die zunehmende Apartheid ausdrücklich benennt, vermittelt er beiläufig, wie der Junge in die ihm zugewiesene Welt einer weißen Elite hineinwächst, aber auch die Brüche und Mißklänge in dieser sozialen Schicht mit Unbehagen empfindet. Coetzee besticht durch zurückhaltende, subtile Beschreibungen und nüchtern knappen Stil: „Der Junge“ ist analytisch diagnostizierend, vermeintlich emotionslos dokumentarisch und auf eine schroffe Weise ehrlich. Coetzee vermeidet Verklärungen oder Vorwürfe, er heischt mit seiner Darstellung nicht nach Mitleid oder Bestätigung und verhindert so ein reflexartiges Abspulen von Anteilnahme.

Am direktesten bezieht Michael Williams in seinen beiden Romanen „Crocodile burning“ und „Wer tötete Jimmy Valentine?“ Stellung zur südafrikanischen Gegenwart. In seinem Buch „Crocodile burning“, das auch auf die Freilassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis auf Robben Island eingeht, warnt Williams davor, den Rassismus umzukehren und davon auszugehen, daß alle Menschen mit schwarzer Haut uneigennützig, ehrlich und gut seien. Williams schildert den Weg eines Jugendlichen zum Star eines Musicals, der schließlich bemerken muß, daß seine Gruppe vom Manager und Regisseur um Honorare betrogen wurde. Williams, der in Kapstadt selbst als Operndirektor tätig ist und mit Jugendlichen aus Townships Musikstücke inszeniert, schreibt klar und direkt in einer Sprache, die nur in den allzu flotten Dialogen manchmal etwas aufgesetzt nach Straßenslang klingt.

Auch sein Krimi „Wer tötete Jimmy Valentine?“ spielt in der Musikszene: Ein Polizist ermittelt wegen des Mordes an einem begabten Sänger und Komponisten. Die Nachforschungen legen ein Bild von Südafrikas Großstädten offen, das von der Gewalt rivalisierender Gangs geprägt ist.

Williams vereinfacht in seiner Sympathie für die Romanhelden zwar die Charaktere seiner Figuren und ist recht genügsam in den Anforderungen an Konstruktion und Sprache, doch er entwirft in beiden Büchern ein weit gefächertes Spektrum von Südafrikas Gegenwart – schon deshalb, weil nicht nur weiße Protagonisten auftreten wie bei Vladislavic, Gordimer und Coetzee. Es ist ohnehin auffällig, daß der Großteil der ins Deutsche übersetzten südafrikanischen Literatur von weißen Südafrikanern ist. Die beiden Gedichtbände „Blue V's“ und „End Beginnings“ von Lesego Rampolokeng aus Soweto zeigen indes, daß die politische Entwicklung in Südafrika auch zu bitter-aggressiven Worten und zu Abscheu über eine sich etablierende und vom Prozeß der Erneuerung ausnehmende Politikerschar verleiten kann.

J.M. Coetzee: „Der Junge“, Fischer, 200 S., 34 DM

Nadine Gordimer: „Livingstones Gefährten“, Fischer, 368 Seiten, 39,80 DM

Lesego Rampolokeng: „Blue V's“, Edition Solitude, 158 S. mit CD, 29,80 DM. „End Beginnings“, Marino, 144 Seiten, 29,80 DM

Ivan Vladislavic: „Der Plan des Baumeisters“, dipa, 156 Seiten, 24 DM

Michael Williams: „Crocodile burning“, Peter Hammer, 220 Seiten, 24,80 DM; „Wer tötete Jimmy Valentine?“, Alibaba, 214 S., 21 DM