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Wählen ohne deutschen Paß bleibt strafbar

■ Die Aktion "Suveyda geht wählen" hat ein juristisches Nachspiel: Die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil Nichtwähler ihre Stimmen an Berliner ohne deutschen Paß "weitergaben". Die Polizei durchsuch

Um sechs Uhr früh klingelte es gestern bei Dr. Seltsam an der Tür. Als der Kabarettist mit dem bürgerlichen Namen Wolfgang Kröske schlaftrunken öffnete, standen ihm drei Polizeibeamte gegenüber – bewaffnet mit einem Durchsuchungsbefehl des Amtsgerichts Tiergarten. Der Vorwurf: Wahlfälschung, Höchststrafe: Fünf Jahre.

Kröske hatte vorweggenommen, was die Bundesregierung jetzt ganz legal auf den Weg bringt: Er wollte einer Berlinerin ausländischer Herkunft zum Wahlrecht verhelfen. Gemeinsam mit der Jurastudentin Suveyda Ugan betrat er bei der Bundestagswahl am 27. September das Wahllokal. Weil ihm ein ärztliches Attest eine Sehnenscheidenentzündung bescheinigte, durfte er Ugan mit in die Kabine nehmen. Die 26jährige machte für ihn das Kreuzchen. Alles weitere unterliege dem Wahlgeheimnis, betonte Kröske.

Der ungewöhnliche Auftritt im Wahllokal war Bestandteil einer Kampagne, die der Wählerinitiative für Christian Ströbele entsprungen war und unter dem Slogan „Suveyda geht wählen“ zu „Wahlpatenschaften“ aufrief: NichtwählerInnen mit deutschem Paß sollten ihr Wahlrecht einfach an BerlinerInnen weitergeben, die das wahlentscheidende Dokument nicht besitzen. In Cafés in Kreuzberg und Prenzlauer Berg fanden die Beteiligten zueinander. Publikumswirksame Doppelauftritte im Wahllokal waren freilich die Ausnahme, meist gingen die Paten alleine in die Kabine, um den Auftrag ihres Schützlings zu erfüllen – oder sie wickelten den Handel diskret per Briefwahl ab.

Außer beim Kabarettisten Kröske stand die Polizei gestern morgen auch bei seiner Wahlverwandten Suveyda Ugan vor der Tür. Zusätzlich nahm sie die Arbeitszimmer der Bündisgrünen Matthias Dittmer und Özcan Mutlu unter die Lupe, die zu den Wahlpatenschaften aufgerufen hatten. Mutlu hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Bonn auf. „Meine Frau war ganz aus dem Häuschen, als plötzlich die Polizei vor der Tür stand“, sagte er. Bei Kröske beschlagnahmten die Beamten neben einer Namensliste der Ströbele-Initiative und dem ärztlichen Attest auch zwei taz-Berichte aus dem vergangenen Herbst. In Dittmers Wohnung fand ein tabellarischer Lebenslauf des Verdächtigen ihr besonderes Interesse.

Weil der Untersuchungsbeschluß bereits vom 23. November stammt, vermutete Dittmer einen Zusammenhang mit der Unionskampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Justizsprecherin Michaele Blume sagte dagegen, die Verzögerung könne „organisatorische Gründe“ haben. Sie bestätigte, daß die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Wahlfälschung gegen zwei Personen ermittele.

„Ich will jetzt in den Knast deswegen“, verlangte Dittmer gestern vorwitzig. Seine Chancen stehen schlecht: Selbst DDR-Wahlfälscher Hans Modrow kam mit neun Monaten auf Bewährung davon. Ralph Bollmann

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