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Wer arm ist, muß draußen bleiben

■ Grüne in der Zwickmühle: Das neue Gesetz macht es Sozialhilfeempfängern unmöglich, den deutschen Paß zu bekommen

Berlin (taz) – „30 Jahre hier gearbeitet, dann vom Gerüst gefallen. Jetzt reicht die Invalidenrente nicht, und das Sozialamt legt was drauf.“ Bernd Knopf, Sprecher der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck, skizziert die Geschichte eines beliebigen Arbeitsunfalls in Deutschland. Ist der Verunglückte allerdings Ausländer, beschert ihm sein Sturz zusätzliches Mißgeschick: Als Sozialhilfeempfänger darf er keinen deutschen Paß bekommen. So zumindest sieht es der Entwurf für das neue Gesetz zur erleichterten Einbürgerung vor, den Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gestern präsentierte.

Laut Paragraph 86 darf nur eingebürgert werden, wer „den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann“. Die Öffentlichkeit diskutierte vor allem, welche Anforderungen in bezug auf Sprachkenntnisse, Straffreiheit und Verfassungstreue an Neubürger zu richten sind. Dabei könnte sich die Sozialhilfe- und Arbeitslosen-Klausel als viel größeres praktisches Hindernis erweisen.

Seit Jahren ist die Arbeitslosenquote bei Ausländern drastisch höher als bei Bundesbürgern. Im Land Berlin waren zum Beispiel im November 1998 rund 33 Prozent der Nichtdeutschen arbeitslos – im Vergleich zu 15 Prozent bei den Einheimischen. Das Gefälle erklärt Knopf auch damit, daß bis in die 70er Jahre Gastarbeiter vor allem in Industriebranchen unterkamen, die später besonders von Kündigungen betroffen waren.

„Da muß man noch mal ran an die Hürden“, sagt der Sprecher der Ausländerbeauftragten, doch sind auch seiner bündnisgrünen Chefin die Hände weitgehend gebunden: Die Selbstversorgerpflicht ist Teil der Koalitionsvereinbarung, der auch Marieluise Beck zugestimmt hat. Um die Wirkung der Regelung abzumildern, überlegt Beck nun, bei Schily auf „Ausnahmetatbestände“ zu dringen und „Fallgruppen auszunehmen“. Was die Debatte nicht erleichtert: Selbst Experten tappen derzeit im dunkeln, wie viele Paß-Bewerber letztlich wegen dieser Klausel abgelehnt werden. Patrik Schwarz

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