: Für den Eisprung nach Holland
Lesben mit leiblichen Kindern? Was vor zehn Jahren noch eine undenkbare Kombination für Heterosexuelle wie für die Lesbenszene war, hat sich in jüngster Zeit – über alle Hindernisse hinweg – zu einem wichtigen Trend entwickelt. Hintergründe ■ von Cristina Nord
Eigentlich dient sie der Verhütung: Die Portiokappe, ein Gummihut mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern, wird vor dem Sex über den Muttermund gestülpt, um das Eindringen von Sperma in die Gebärmutter zu verhindern. Es geht aber auch andersherum: Die flexible Kappe wird mit Samen gefüllt und direkt am Eingang zum Uterus plaziert. Dadurch gelangen die Spermien ohne Umschweife in die Gebärmutter. Im sauren Milieu der Vagina würden sie nach sechs Stunden absterben, hier, in einem basischen Umfeld, sind ihnen drei bis vier Tage Lebensdauer vergönnt, um eine Eizelle zu finden. So wächst die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung.
Insemination lautet die korrekte Bezeichnung für dieses Verfahren, das sich auch mit einem Portioadapter oder mit einer Plastikspritze durchführen läßt. Was nach einem komplizierten medizinischen Vorgang klingt, „heißt zunächst nichts weiter, als Sperma in die Vagina einzuführen“, erklärt Cornelia Burgert vom Feministischen Frauen Gesundheitszentrum (FFGZ) in Berlin.
Die Sozialpädagogin bietet Beratungs- und Informationsgespräche für Lesben an, die ein Kind wollen. Davon gibt es inzwischen so viele, daß von einem Trend die Rede ist. Worauf der zurückgeht, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen: Neben der allgemein gestiegenen Toleranz für homosexuelle Lebensformen mag das Bedürfnis nach Normalität eine Rolle spielen. Möglicherweise wirken sich auch die Öffnungsprozesse aus, die innerhalb der Lesbenszene zu beobachten sind. Stieß eine Mutter dort vor zehn Jahren noch auf Ablehnung, bringt man ihr heute größere Sympathie entgegen.
Mit einem Mann zu schlafen, kommt freilich nur für sehr wenige in Frage, und so gilt es, andere Wege zur Schwangerschaft zu finden. In den USA oder den Niederlanden ist dies vergleichsweise einfach. Lesbische Frauen können Samenbanken aufsuchen, dort Sperma erwerben und auf die Unterstützung von Ärzten zählen. In Deutschland sieht es anders aus. Von sehr seltenen Ausnahmen abgesehen, bleibt es alleinstehenden Frauen oder nicht verheirateten Paaren – egal ob hetero- oder homosexuell – verwehrt, sich bei der Erfüllung ihres Kinderwunsches von ärztlicher Seite helfen zu lassen.
Eine Erklärung der Bundesärztekammer betont die Pflicht der Mediziner, an die „gedeihliche Entwicklung des Kindes“ zu denken. Die sei nur in der Ehe gewährleistet. Andere Familienmodelle, so die Richtlinien im Einklang mit der noch gültigen Gesetzeslage, sind „auch bürgerlich- rechtlich nicht anerkannt; vielmehr begründet nur die Ehe eine rechtlich gesicherte Lebensgemeinschaft, bei der zumindest die Vermutung besteht, daß sie auf Dauer angelegt ist“.
Wenn Ärzte nicht helfen dürfen, ist Eigeninitiative gefragt. Die Reise nach Holland wird von vielen Lesben zunächst bevorzugt. „Es gibt die Angst“, so Burgert, „daß der biologische Vater Ansprüche stellen könnte. Deswegen wollen viele Frauen die Anonymität der Samenbank.“ Doch dieser Weg ist steiniger, als man zunächst meinen mag. Von den 31 Frauen aus Deutschland, die im vergangenen Jahr zur Insemination ins Leidener Stichting Medisch Centrum voor Geboortenregeling gekommen seien, berichtet die dort tätige Lies van der Ers, seien vier schwanger geworden.
„Die meisten haben Schwierigkeiten, den richtigen Zeitpunkt abzupassen“, lautet van der Ers' Erklärung für die geringe Erfolgsquote. Etwa 1.600 Gulden kostet eine auf sechs Zyklen ausgerichtete Behandlung; akzeptiert werden in Leiden fast alle Frauen mit Kinderwunsch – außer solchen, die sich nach Nachwuchs sehnen, um die eigene Einsamkeit zu kompensieren. Cornelia Burgert hingegen kennt keine einzige Frau, die schwanger geworden wäre, nachdem sie eine Samenbank aufgesucht hatte.
Auch Linda Sennett weiß von keiner. Die 35jährige US-Amerikanerin, die seit fünf Jahren in Berlin lebt und vor kurzem einen Sohn zur Welt brachte, hat gemeinsam mit ihrer Freundin eine Selbsthilfegruppe für Lesben mit Kinderwunsch gegründet. „Die meisten Frauen“, sagt sie, „wollten keinen Bekannten als Samenspender und fuhren statt dessen mehrmals nach Holland.“ Geklappt habe es nicht. Jeden Monat pünktlich zum Eisprung Urlaub zu nehmen und für ein paar Tage zu vereisen, bedeute viel Streß. Und der kann eine Schwangerschaft verhindern.
Erfolgversprechender ist es, einen Mann aus dem näheren oder weiteren Umfeld zu finden, der zu einer Samenspende bereit ist. Kleinanzeigen entpuppen sich als probates Mittel, aber auch entfernte Bekannte, schwule Freunde oder gar der Bruder der Partnerin erklären sich zur biologischen Vaterschaft bereit. „Lange Zeit“, sagt Cornelia Burgert, „kamen die Frauen in die Beratung und fragten verzweifelt: ,Wie finde ich nur einen Spender?' Heute hat die Hälfte diese Hürde schon genommen.“
Was dann kommt, ist aus medizinischer Sicht kein allzu großes Problem mehr. In den meisten Fällen klappt die Insemination bei einem der ersten Versuche, vorausgesetzt, die Frau hat sich über die Abläufe in ihrem Körper kundig gemacht und weiß, wann sie mit dem Eisprung rechnen kann.
Ausnahmen bestätigen die Regel: Linda Sennett etwa brauchte fast drei Jahre, bis sie schwanger wurde. Das Sperma des Spenders reagierte allergisch auf ihre Scheidenflüssigkeit; es stellte sich heraus, daß ihr Rhesusfaktor negativ, seiner positiv war; eine Fehlgeburt machte die Sache nicht leichter. Schließlich war ein Arzt bereit, eine Insemination mit Spendersamen vorzunehmen.
In der Regel aber ergeben sich Komplikationen eher auf anderen Gebieten. Ganz wie bei heterosexuellen Paaren bedeutet ein Säugling nicht nur grenzenloses Mutterglück, sondern auch eine große Belastung, der nicht jede Bindung, egal ob hetero- oder homosexuell, gewachsen ist. Welche Dynamik zwischen leiblicher und sozialer Mutter entsteht, wie sich der Samenspender zu seinem Nachwuchs verhält, oder ob das Kind später in Kita und Schule wegen seiner Herkunft angegriffen wird: All das läßt sich kaum vorab beantworten.
Wer wie die 35jährige Berlinerin Ingrid Schellhorn ein Kind noch aus den Zeiten vor dem Coming-out hat, weiß, daß es die Lesbenszene – trotz aller Öffnungsprozessen – an Toleranz gegenüber Müttern mangeln läßt: „Ich hatte den Eindruck, daß ich nicht richtig akzeptiert wurde.“ Auch im heterosexuellen Umfeld stieß sie auf Unverständnis: „Man unterstellte mir, daß ich wegen einer Spinnerei das Glück meiner Tochter aufs Spiel setze.“ Und ihrer Lebensgefährtin, sagt sie, sei es zunächst nicht leicht gefallen, „zu akzeptieren, daß da noch ein Kind dranhängt“.
Daß es keine rechtlichen Absicherungen für den Zweifelsfall gibt, macht die Sache nicht einfacher. Die Co-Mutter beispielsweise hat nach einer Trennung keinen Anspruch, das Kind zu sehen; gemeinsam erarbeitete Verträge haben keine bindende Kraft. Immerhin: Für den Fall, daß die leibliche Mutter stirbt, kann die soziale Mutter das Sorgerecht erhalten.
Den rechtlichen Grauzonen und möglichen Vorurteilen zum Trotz entwickeln sich Kinder aus lesbischen Familien weitgehend wie der Nachwuchs heterosexueller Paare. Zu diesem Ergebnis kommen diverse Studien, die in den letzten zehn Jahren vor allem in den USA durchgeführt wurden. Galt für die klassische Psychoanalyse noch der Grundsatz, daß Sohn wie Tochter den Vater bräuchten, um sich in die eigene Geschlechterrolle einzufinden, so fokussieren jüngere Forschungsmethoden das Gesamtumfeld des Kindes – Kindergarten, Schule, gleichaltrige Freunde, Medien – und kommen dabei zu dem Fazit, daß die Eltern einen geringeren Einfluß haben als vermutet.
In einer Studie des niederländischen Universitätsklinikums Leiden heißt es: „In einer Analyse von 67 empirischen Untersuchungen zu den Auswirkungen von Vaterabwesenheit auf die Geschlechtsrollenentwicklung des Kindes konnten keine verallgemeinerbaren Unterschiede zwischen vaterlos aufwachsenden Kindern und solchen, die mit Vater groß wurden, festgestellt werden.“ Genausowenig sorge die Homosexualität der Mütter für abweichendes Sozialverhalten oder psychologische Störungen. Die meisten Kinder werden später heterosexuell und benehmen sich überdies so, wie es die tradierten Geschlechterrollen vorsehen: Töchter lesbischer Mütter spielen lieber mit Puppen, die Söhne lieber mit Bauklötzen.
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