: Glück ist eine Leinwand voller Körner
Ihnen ging es nicht so sehr darum, Papas Kino zu töten, als vielmehr darum, zu staunen, herumzuexperimentieren und unbeschwert Filme zu machen: Christian Baus Dokumentarfilm „Die kritische Masse“ über den 68er Aufbruch der Hamburger Underground-Regisseure ■ Von Oliver Fuchs
Wer 1968 lautstark nach einem Umsturz verlangte, tat dies nicht unbedingt aus politischen Motiven. Das Kinoprogramm war Grund genug für eine Revolte: „Die junge Sünderin“, „Fabrik der Offiziere“, „Das Mädchen mit den schlanken Hüften“. Filme, die ihre Artigkeit, ihre Lebensferne und Sehnsucht nach Restauration schon im Titel verrieten.
Währenddessen entstanden auf Hamburgs Straßen und in improvisierten Heimstudios Bilder der ganz anderen Art. 1968 entstand in der Hansestadt die erste deutsche Filmkooperative der „Underground-Regisseure wie Hellmuth Costard, Werner Nekes etc. pp. In Werner Nekes' „Put – Putt“ ist die Leinwand erst voller Körner, die nach und nach von einem in Untersicht abgefilmten Huhn weggepickt werden. „Warum hast du mich wachgeküßt“ von Hellmuth Costard besticht durch eine lange Einstellung mit subjektiver Kamera: Eine junge Frau filmt sich selbst nackt im Spiegel, läuft durch ihre Wohnung, stöbert in Schubladen. Wenn sie lacht und die Kamera wie ein Gewehr präsentiert, sieht das militant und charmant zugleich aus.
Christian Baus Dokumentarfilm „Die kritische Masse“ über den Aufbruch des Hamburger Underground ist reich an solchen Momenten unbeschwerten Filmemachens. Die jungen Künstler, die in der Brüderstraße 17 ein und aus gingen – organisatorisches Zentrum, Produktionsstätte und Partykeller in einem –, verstanden sich primär als Freundeskreis und erst in zweiter Linie als Avantgarde.
Das hatte zur Folge, daß man viel lieber gemeinsam spintisierte und probierte als, wie in München üblich, Pamphlete zu schmieden, in denen der Tod von Opas Kino ausgerufen wurde. Abgrenzungsrituale waren in Hamburg eh sinnlos, da sich die mehr kaufmännisch als kulturell interessierte Öffentlichkeit überhaupt nicht für das Treiben der Gruppe interessierte. Die Situation sei so ähnlich gewesen wie die Landschaft rund um die Stadt, erinnert sich der Ästhetikforscher Bazon Brock. „Man konnte immer geradeaus gehen und wurde durch keinen Berg und keine Wand gehindert.“
Regisseur Christian Bau läßt viele Filmausschnitte von damals sprechen, um das Aufblühen einer vitalen Szene an unerwartetem Ort zu dokumentieren. Dazu gibt's Interviews von heute an teils lustig- abwegigen Schausplätzen wie dem Warner Brothers Movieland. Schon die Existenz dieses Vergnügungs- und Vermarktungsparadieses spricht den damaligen Bemühungen hohn, Filme unabhängig vom Markt zu produzieren. Aber nichtsdestotrotz fällt Hellmuth Costard inmitten von herumwackelnden Donald Ducks und Batmobiles ein, wie er auf die Idee kam, die Öffnung seines Penis lippensynchron zur Rede eines CDU-Bundestagsabgeordneten zu bewegen. In der Badewanne nämlich, mit seiner Ehefrau. „Aus Spaß. Weil wir glücklich waren.“
Der vom Festival in Oberhausen erwartungsgemäß boykottierte „Besonders wertvoll“ sollte der einzige Skandalfilm aus Hamburg bleiben. Wenn man die Protagonisten der Gruppe heute reden hört, ging es auch gar nicht so sehr ums sprichwörtlich gewordene Provozieren, Konventionen-Brechen und Sehweisen-Erschüttern. „Die kritische Masse“ jedenfalls hält eine kurze Zeit staunenden Experimentierens fest, in der mit Mensch und Medium äußerst zärtlich umgegangen wurde. Es dauert nicht lange, und die Gemeinschaft zerfällt in dogmatische Linke und Spaßlinke, und irgendwann ist „Experimentalfilm“ nicht mehr bloß ein Wort, sondern eine Gattung, die kaum noch Bewegung zuläßt.
Die Gelassenheit, mit der die Hamburger auch hierüber berichten, läuft jedenfalls konträr zu allem, was man heute über verbiesterte 68er zu wissen glaubt. Verbittert ist keiner – auch wenn das mit der Filmkooperative nach New Yorker Vorbild langfristig nicht geklappt hat und der Filmemacher Thomas Struck nicht recht behalten hat: „Der Grundplan war eigentlich, ein weltberühmter Regisseur zu werden und mindestens einen massiven Film für die ganze Menschheit pro Monat zu machen.“ Was die Leute allerdings heute so machen, verrät der Film nicht. Die meisten haben jedenfalls recht schöne Wohnungen.
Bis 20. Januar in der Brotfabrik2, 20 und 22 Uhr, Prenzlauer Promenade 3, Weißensee
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