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Multikulti als Problem deutscher Eltern

Bei einer Diskussion in Kreuzberg zeigt sich, daß es keine Patentlösungen für Schulen mit hohem Ausländeranteil gibt. Zweisprachiger Unterricht ist umstritten, wird aber von vielen türkischen Eltern befürwortet  ■ Von Jutta Wagemann

Das Schild hängt wie selbstverständlich da. Auf deutsch und türkisch ist der Hinweis auf das Schulsekretariat abgefaßt. An der Wand gegenüber hängen Fotos von der letzten Projektwoche. „Unsere Heimat ist Schwarzafrika“, ist unter ein Bild geschrieben. Auf dem Foto daneben sind kleine Mädchen mit Kopftüchern zu sehen.

Auf den Titel „Internationale Schule“ oder „Europaschule“ kann die Niederlausitz-Grundschule in Kreuzberg verzichten. Auch ohne besonderes Etikett steht sie für Multikulti – wie alle Schulen im Bezirk. Gut die Hälfte ihrer SchülerInnen ist nichtdeutscher Herkunft. Das ist für Kreuzberg sogar eher noch wenig. Deutsche Eltern ziehen daraus zunehmend Konsequenzen. Sie melden ihre Kinder in anderen Bezirken an, am liebsten in solchem mit geringem Ausländeranteil. In der F.-O.-Plauen-Schule in der Wrangelstraße wurde vor kurzem sogar die erste Klasse ohne deutsches Kind gestartet.

Özcan Mutlu reagiert gereizt auf die wieder aufgeflammte Diskussion um ausländische Schüler. „Nicht allein um Probleme mit Migrantenkindern, sondern um soziale Probleme allgemein geht es“, sagt er. Der grüne Abgeordnete der BVV Kreuzberg kennt die Argumente deutscher Eltern. Sie machen sich um die Ausbildung ihrer Kinder Sorgen, wenn viele Klassenkameraden nicht gut deutsch sprechen.

Doch die Diskussion greift Mutlu zu kurz, wie er am Donnerstag abend auf einer Diskussion in der Niederlausitz-Grundschule erklärt. Schwierigkeiten gebe es verstärkt in den sozial schwachen Bezirken, sagt Mutlu. Er erinnert an die Sprachmessungen im Wedding, bei denen auch viele deutsche Kinder große Defizite aufwiesen.

Die meisten Lehrer stehen vor neuen Herausforderungen. Wenistens auf diesen kleinen gemeinsamen Nenner können sich die Diskutanten einigen. Nach Ansicht von Schulrätin Hannelore Kern sind vor allem gut ausgebildete Lehrer vonnöten. Doch in der Lehrerausbildung hapert es. So ist Türkisch als Staatsexamensfach nicht zugelassen. Und umgekehrt? „Noch immer, erzählt Kern, „warten wir dringend auf die ersten Lehrer türkischer Muttersprache, die ihr Studium in Deutschland absolviert haben.“ Dafür gebe es sogar einen „Einstellungskorridor“.

Kompetente Lehrer allein können die deutschen Eltern und Kinder in Bezirken wie Kreuzberg, Neukölln oder Wedding jedoch nicht halten. Auf eine Patentlösung können sich auch die Teilnehmer des Abends deshalb nicht einigen. Heftig diskutieren sie über zweisprachigen Unterricht, der in Kreuzberg an fünf Schulen angeboten wird. Das Interesse daran gehe zurück, ist die Erfahrung von Hannelore Kern. Die Kreuzberger Schulstadträtin Hannelore May (Bündnisgrüne) führt das darauf zurück, daß Türkisch mit Blick auf die Europäische Union nicht sehr gefragt sei. Nur wer seine türkische Muttersprache richtig beherrsche, könne auch eine Fremdsprache vernünftig lernen, betont dagegen Mutlu. Ein türkischer Vater fordert deshalb zusätzlichen Türkischunterricht für seine Kinder.

Die Leiterin der Niederlausitz- Grundschule, Heidi Kölling, geht pragmatisch an diese Frage heran. Inzwischen hätten sich die meisten Türken entschlossen, in Deutschland zu bleiben. Deshalb sei es wichtig, ihre Kinder für den Arbeitsmarkt oder das Studium in Deutschland fit zu machen. „Also setzen wir verstärkt auf guten Deutschunterricht und Förderangebote“, berichtet sie.

Die andauernden Klagen deutscher Eltern können die Kreuzberger Schulleiter ohnehin nicht mehr hören. An diesem Abend erhalten sie sogar Unterstützung einer deutschen Mutter: Die Treptowerin schickt ihr Kind absichtlich in Kreuzberg auf die Schule. „Was soll mein Kind denn in einer völlig homogenen Klasse?“ fragt sie. „So viele Nationalitäten sind doch eine Bereicherung für die Schule.“

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