: Mit der Lizenz zum Schummeln
Die sensationellen Erfolge des Schachamateurs Clemens Allwermann gegen Großmeister scheinen allein durch einen computergestützten Betrug auf Hightech-Niveau erklärbar ■ Von Hartmut Metz
Schachgroßmeister Sergej Kalinitschew ausgeknockt und damit 1.660 Mark Preisgeld eingeheimst zu haben, schien dem Amateur nicht genug. Clemens Allwermann wollte sich vor den ihn umlagernden Fans noch mehr ins rechte Licht rücken. „Das ist Matt in acht Zügen“, schmetterte der Kreisligaspieler dem Großmeister entgegen. Doch der Berliner hatte lediglich ein süffisantes Lächeln für seinen Bezwinger übrig. In einer derartig komplizierten Stellung würde es keiner seiner Profikollegen wagen, ein Matt in acht Zügen anzukündigen. „Lachen Sie nicht, prüfen Sie es nach!“ giftete daraufhin der Amateur.
Dieser Monolog war Allwermanns (55) schlimmster Patzer beim Turnier in Böblingen. Die neun Runden zuvor agierte der Spieler des SK Memmingen 1907 auf den 64 Feldern so tadellos, daß die Zuschauer mit ihm fieberten. Wollte nicht jeder von ihnen nur einmal, ein einziges Mal den Koryphäen zeigen, was eine Harke ist? Allwermann tat dies an ihrer Stelle mit herzerfrischendem Kombinationswirbel und teilte als 144. der 309 Spieler umfassenden Setzliste den ersten Preis! Seinen neun Gegnern, darunter acht aus der Weltrangliste, gönnte Allwermann nur drei Unentschieden. Die 7,5:1,5 Zähler bedeuteten eine Performance von über 2.630 ELO-Punkten. Dies entspricht einer Leistung eines Großmeisters aus den Top 40 der Welt. Beachtlich für einen, der in Deutschland mit einer Wertungszahl von 1.925 nicht einmal zu den besten 10.000 zählt.
Zwar sei schon während des Open-Wettbewerbs die „Vermutung aufgekommen, hier geht es nicht mit rechten Dingen zu“, berichtet Turnierorganisator Lorenz Skribanek. Die vermeintlichen „Neider“ ließ der Frührentner aber durch allerlei plausible Erklärungen wie „Der Gegner hat mich unterschätzt“ oder „Ich kannte die Eröffnung besonders gut vom Fernschach“ verstummen. Die Böblinger unternahmen daher nichts, obwohl sie nach der letzten Partie gegen Kalinitschew „stutzig wurden, als Allwermann ein Matt in acht Zügen ankündigte“.
Das können nämlich nur Computerprogramme mit hundertprozentiger Sicherheit, und das weiß ein erfahrener Bundesligaspieler wie der Freiburg-Zähringer Hajo Vatter. Der ehemalige deutsche Pokalsieger warf deshalb einen besonders schnellen Rechner an und überprüfte Allwermanns kecke Prognose – das weitverbreitete Programm „Fritz“ bestätigte die Vermutung: Die Schlußstellung ergab ein Matt in acht Zügen. Seitdem beschäftigen sich zahlreiche Schachspieler mit den Partien des unbekannten Amateurs. Ihre Erkenntnis ist immer wieder dieselbe: Auf Turnierstufe rekonstruiert „Fritz“ problemlos die Züge Allwermanns.
In Schachkreisen wird daher gemunkelt, daß die Züge von einem Taschen-Deep-Blue übermittelt wurden. „Trotz der 35 Grad Hitze im Turniersaal saß er immer mit Krawatte und dunklem Blazer am Tisch“, erinnert sich Organisator Skribanek. Das läßt einen Turnierteilnehmer mutmaßen, in der Krawatte sei womöglich eine kleine Infrarotkamera zur Übertragung der Positionen versteckt worden. Außerdem böten Allwermanns langes Haar und die Brille genügend Tarnung für ein Hörgerät, womit die „Fritz“-Züge zurück ans Brett gelangten. Eine noch einfachere und unverfänglichere Variante zur Übermittlung wäre eine eingebaute Minikamera im Kugelschreiber, die die auf dem Partieformular notierten Züge überträgt. Der Rentner, der früher als „Selbständiger“ in der „Unterhaltungselektronik“-Branche arbeitete, verweist solche James-Bond-Gespinste ins Reich der Fabeln. „Die Vermutung ist lächerlich. Wie sollte das technisch gehen? Ich finde es allerhand, so etwas zusammenzuschustern. Ich hatte relativ viel Glück“, erklärt Allwermann. Typische Computerzüge wie das „offensichtliche“ Damenopfer gegen Kalinitschew habe er eben „ins Auge gefaßt und ausgeführt, weil der Zug spektakulär war“. Von dem lauthals angekündigten Matt in acht Zügen will der Kreisligaspieler plötzlich nichts mehr wissen. „Ich habe mich getäuscht“, macht der Pensionär diesbezüglich ebenso einen Rückzieher wie von dem anfangs verkündeten früheren Beruf als „Selbständiger in der Unterhaltungselektronik“. Er habe nur „Fernseher, Video- und Stereoanlagen verkauft“, schrumpft er sich klein.
Daß die Steigerung, die ungefähr einer Verbesserung der Hundertmeterzeit von 14,0 auf 10,0 Sekunden entspricht, mit elektronischem Doping erfolgte, machen die Zweifler an weiteren Indizien fest: „Ich wollte mit ihm analysieren“, verweist Kalinitschew auf eine übliche Gepflogenheit nach der beendeten Partie, um die Fehler herauszufinden. Mangels Spielstärke, glaubt der Berliner, habe sein Gegenüber verzichtet. „Ich habe Allwermanns alte Partien nachgespielt. Die waren einfach schlecht.“ In Datenbanken finden sich Belege aus Dresden und Bad Ragaz (Schweiz) mit Niederlagen in 16 und 21 Zügen.
1993 gab es in Philadelphia einen Fall, wo ein Gauner mit einem Computer im Hintergrund ein Preisgeld abzocken wollte. Da der Mensch jedoch nicht einmal die Züge richtig beherrschte, flog der Schwindel auf. Der ansonsten zurückhaltende Kalinitschew fühlt sich ähnlich betrogen. „Mein Gegner war angetrunken. Ich dachte zunächst, eine Art Freilos zu haben, und wähnte mich bis zu einem dummen Fehler auf der Siegerstraße – hätte ich gewußt, daß ich gegen einen Computer spiele, hätte ich eine andere Eröffnung gewählt.“ Den 42jährigen wunderten weitere Vorfälle: „Obwohl mein Gegner sah, daß ich meinen fünften Zug ausführte, ging er für zehn Minuten weg.“ Hans Matzig, Schatzmeister des SC HP Böblingen, meint, daß es solche Vorkommnisse nur dort gibt, „wo direkt im Hotel gespielt wird“. Theoretisch sei es denkbar, daß ein Gehilfe in einem Zimmer versteckt werde. „Allwermann sah man nur abends mit einer Dame“, versichert Matzig.
Direkt nach seinem Erfolg beim Böblinger Open, das er vor sechs Jahren noch mit 5:4 Punkten im tiefsten Mittelfeld beendet hatte, kündigte Clemens Allwermann an, im März in Bad Wörishofen zu starten. Während sich Witzbolde gegen den Taschen-Deep-Blue am Brett mit Störsendern wappnen wollen, erhält der Shooting Star unweit seines Wohnortes Berkheim die Gelegenheit, seine Genialität unter Beweis zu stellen. So oder so: Ein Matt in acht Zügen wird der Amateur bestimmt nicht mehr ankündigen.
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