Ökolumne: Antiautoritärer Umweltschutz
■ Auch für Selbstverpflichtungen der Industrie müssen Standards her
Selbstverpflichtungen als Instrument der Umweltpolitik sind populär. Das gilt besonders für die Bundesrepublik und die Niederlande, wo jeweils rund 100 solcher Vereinbarungen zwischen Unternehmensverbänden und Ministerien ausgehandelt wurden. Bereits in den 70ern gab es dafür erste Ansätze. In den vergangenen zehn Jahren aber hat die Industrie sie fest in ihr Herz geschlossen: Selbstverpflichtungen seien flexibler als Vorschriften und kämen billiger. Die alte Bundesregierung gab Selbstverpflichtungen der Industrie meist den Vorrang vor Gesetzen und Verordnungen. Und auch die rot-grüne Regierung stellt im Koalitionsvertrag fest, daß solche Verpflichtungen Ordnungsrecht entbehrlich machen können. In den meisten Fällen betreffen sie Abfallthemen, den Ersatz bestimmter Chemikalien oder den Klimaschutz. Die bekannteste Selbstverpflichtung ist wohl die Erklärung des Bundesverbands der Industrie (BDI) von 1996, den Ausstoß von Treibhausgasen zu vermindern. Sicher, Selbstverpflichtungen können das Umweltbewußtsein der Unternehmen verbessern und ihre Eigenverantwortung stärken. Aber sie bergen auch das Risiko, daß wichtige umweltpolitische Maßnahmen nur aufgeschoben werden.
Einige Selbstverpflichtungen waren durchaus anspruchsvoll und wurden eingehalten. Zum Beispiel die Erklärungen der Chemieindustrie zum Verzicht auf ozonschichtzerstörende FCKW. Viele andere Zusagen funktionierten aber eben nicht. Altbatterien etwa sammelte und verwertete die Industrie in sehr viel geringerem Umfang als zugesagt.
Weil Selbstverpflichtungen rechtlich unverbindlich sind, hat die Nichteinhaltung außer einem möglichen Gesichtsverlust für die beteiligten Verbände und Unternehmen keine Folgen – wohl aber für die Umwelt. So konnte etwa der Verband der deutschen Automobilindustrie (VdA) seine Klimaschutzverpflichtung ohne Folgen wieder aufgekündigen. Um so wichtiger ist es, daß der Staat die Nichteinhaltung konsequent mit Sanktionen beantwortet. Diese können etwa darin bestehen, daß das Scheitern einer Erklärung zwangsläufig eine Verordnung zur Folge hat. Sie sollte allerdings schon fertig in der Schublade liegen, damit die Drohung ernst genommen wird. Außerdem muß der Staat dafür sorgen, daß ein Scheitern der Verpflichtung frühzeitig bemerkt wird. Deshalb sollte es für die sich verpflichtenden Verbände obligatorisch sein, eindeutige Ziele und Zwischenziele zu formulieren. Wird ein Zwischenziel verfehlt, sollte sofort über ergänzende Maßnahmen nachgedacht werden.
Ebenso wichtig ist es, daß für das Erreichen eines Ziels auch klare Verantwortlichkeiten benannt werden. Meist verpflichten sich aber Industrieverbände, die wiederum ihre Mitgliedsunternehmen letzlich zu nichts zwingen können. Besser wäre es, nach der grundsätzlichen Verpflichtung des Verbandes für jedes Unternehmen einzeln eine Zusage auszuarbeiten. Erst damit wird die Verpflichtung für die letztlich Verantwortlichen moralisch verbindlich.
Einiges könnte hier verbessert werden, wenn Umweltverbände sowohl an der Formulierung der Ziele sowie deren Überprüfung beteiligt würden. Dies ist in den Niederlanden fast schon die Regel und hat dazu geführt, daß die dort geschlossenen Umweltvereinbarungen in der Gesellschaft weitgehend akzeptiert sind. Die Beteiligung kritischer Akteure kann auch sicherstellen, daß die versprochenen Ziele nicht bloß dem entsprechen, was die Unternehmen schon mit dem normalen technischen Fortschritt erreicht hätten, sondern tatsächlich ambitioniert sind. Die Transparenz von Selbstverpflichtungen und ihren (Miß-)Erfolgen wird durch die Beteiligung Dritter ebenfalls viel größer. Letztlich vergrößert sich damit auch der Druck auf die Industrie, den von ihr angekündigten Verpflichtungen nachzukommen.
Deshalb: Ergänzen Selbstverpflichtungen der Industrie „harte“ gesetzliche Vorschriften, indem sie darüber hinausgehen – wie etwa bei den FCKW –, können sie durchaus sinnvoll sein. Selbstverpflichtungen, die eine Verordnung ganz ersetzen, sollten allerdings die oben genannten Anforderungen einhalten. Die alte Bundesregierung hatte es versäumt, solche Mindeststandards zu setzen, hoffentlich wiederholt Rot-Grün nicht diesen Fehler. Ralf Jülich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen