: Gedenken mit Gebrauchsanweisung
■ Das Holocaust-Mahnmal soll es nur mit Museum geben. Eine Idee, die nach der Bubis/Walser-Debatte traurige Plausibilität gewonnen hat
Es mag sein, daß die Diskussionen um Denkmäler stets wichtiger sind als das Denkmal selbst. Alle Denkmäler, sind sie einmal da, werden zu profanen Orten, die nie den hehren Sinn erfüllen, der ihnen zugedacht wurde. Die Reflexion der Gesellschaft über ihre Vergangenheit und ihr Selbstbild findet vorher, im Streit um das Denkmal, statt. Ist es gebaut, wird es zum Alltagsort.
Doch spätestens nach den Kolloquien 1997 erlitt die damals knapp zehn Jahre dauernde Mahnmal-Diskussion einen intellektuellen Ermüdungsbruch. Alles war gesagt. Eine Geschwätzigkeit griff um sich, eine Beliebigkeit des Behauptens und Meinens, die dem Gegenstand denkbar unangemessen war. Einen Tiefpunkt markierte die Äußerung von Gerhard Schröder, der im Wahlkampf 1998 naiv-unverfroren beisteuerte, die Debatte müsse nun beginnen. So niveaulos redet sonst nur Eberhard Diepgen, dem, in einer Mischung aus Berliner Provinzmuff und trüben Abwehrreflexen, die ganze Richtung nicht paßt. Insofern ist gut, daß über das Mahnmals demnächst entschieden wird.
Michael Naumanns Vorschlag, Eisenmans Stelenwald mit einem Museum, einer Bibliothek und einer Forschungsstelle zu kombinieren, erscheint auf den ersten Blick als Königsweg. Er hat scheinbar den Vorteil, die beiden zentralen Vorbehalte gegen das Mahnmal zu entkräften. Eisenmans riesiges, ursprünglich 4.100 Stelen umfassendes Denkmal, war, so das Argument, lesbar als der plumpe Versuch, die Monströsität des Verbrechens ästhetisch in schierer Größe und Monumentalität zu spiegeln.
Das zweite Argument gegen ein abstraktes Mahnmal bemängelte gerade das Gegenteil: nicht seine eindeutige Lesbarkeit, sondern die Offenheit für alle möglichen Sichtweisen. Auch da schafft Naumann Abhilfe: Museum und Forschungsstätte beseitigen alle Zweifel, worum es hier geht.
Nicht Kunst oder Didaktik, sondern Kunst und Didaktik – diese Formel hat alle Chancen, realisiert zu werden. Denn die Vorstellung, daß der Bundestag über Eisenman pur versus Eisenman/Naumann abstimmt, wirkt bizarr. So wird wahrscheinlich nur das Mix-Konzept zur Entscheidung stehen. Politisch befreit es zudem die in Geschichtsfragen forsch unbedarfte Schröder-Regierung vom Ruch neonationaler Anwandlungen. Und es entspricht trefflich der traditionellen Neigung der Bundesdeutschen zum Konsens.
Freilich kann man bezweifeln, daß dabei von Eisenmans Plan viel übrigbleibt. Das einleuchtendste Argument gegen das Dokumentationszentrum lautet, daß es für sich genommen überflüssig ist. Museen, Forschungsinstitute, Ausstellungsräume gibt es in Deutschland schon zuhauf. Der Sinn des Dokumentationszentrums ist offenbar eine Korrektur des Kunstprojektes. So erscheint es, auch wenn es am Rand des Grabfeldes gebaut wird, als steinerner Mißtrauensantrag gegen Eisenmans Entwurf.
Um Naumanns Kompromißformel ästhetisch und politisch zu beurteilen, muß man noch einmal an den Beginn zurückkehren. Zu der Frage: Warum ein künstlerisches Mahnmal? Warum das Wagnis, etwas ästhetisch zu formulieren, das sich der Darstellbarkeit entzieht? Warum gegen die Erkenntnis opponieren, „daß es es keine künstlerischen Mittel gibt, das Unvorstellbare des Holocaust darzustellen?“ (Salomon Korn) Warum nicht zufrieden sein mit pädagogischer Aufklärung und jenem Lern- und Bewältigungsbetrieb, auf den sich die Deutschen seit rund zwanzig Jahren so gut verstehen?
Die Grundidee lautet: Historische Aufklärung kann politisches Bewußtsein schaffen und das Geschehen in Erinnerung rufen – zur Trauer um die Toten, zur Empathie mit den Opfern kann sie kaum erziehen. Wenn man sich mit der Vernichtung der Juden beschäftigt, bleibt ein unerklärbarer Rest, ein schwarzes Loch, das kein noch so umfassendes Wissen erhellt.
Was keine ausgefeilte Unterrichtseinheit für die Oberstufe vermag, kann vielleicht Kunst. Nämlich einen assoziativ vom Betrachter auffüllbaren Raum zu schaffen, in dem „zweckfreies Gedenken“ (Micha Brumlik) stattfinden kann. Ein Gedenken, das nicht auf politische Lehren zielt, sondern Empathie mit den Opfern ermöglicht.
Dieses artifizielle Symbol muß seine eigene Unzulänglichkeit reflektieren. Es muß ein offenes Kunstwerk sein, weil alle figürlichen oder eindeutigen metaphorischen Darstellungen des Holocaust eine Anschaulichkeit produzieren, die verkitscht, eine Begreifbarkeit versprechen, die den Kern verfehlt. „Die einzige Form, in der das Trauerritual für die Opfer der Massenvernichtung überdauern kann, besteht darin, sich selbst in die Form einer negativistischen Inszenierung des Erhabenen zurückzunehmen“, schrieb Micha Brumlik 1992. Das liest sich wie die Beschreibung von Eisenmans Grabfeld, das das Paradox formuliert, daß es kein Symbol geben kann, das den Holocaust repräsentiert, und dieses Symbol gleichermaßen ist.
Soweit die Theorie. Man mag bezweifeln, daß dieses Konzept aufgeht, daß die „negativistische Inszenierung des Erhabenen“ einen mit Gefühlen aufladbaren Raum schafft. Zudem ist kein Denkmal im Alltagsgebrauch, was es sein soll. Und um so edler die Absicht, um so größer ist die Fallhöhe zwischen Idee und Wirklichkeit. Würde Eisenmans Stelenwald in fünfzig Jahren Ort jenes zweckfreien Gedenkens an die Opfer sein, an die kein Grabstein erinnert? Oder würden dort gelegentlich ratlose Staatsgäste vorbeiführt werden?
Über diesen universellen Zweifel an der Wirkung von Denkmälern hinaus, gibt es einen aktuellen Grund zu fragen, ob Eisenmans Entwurf brauchbar ist. Oder vielmehr: Ob Deutschland reif für eine künstlerische, reflexive Symbolisierung des Holocaust ist. Die bundesdeutsche Gesellschaft hat, nach dem Schweigen der fünfziger Jahre, einen abstrakten, nachholenden Antifaschismus auf die Tagesordnung gesetzt. So entstand ein lager- und parteiübergreifender antifaschistischer Konsens. Alle Versuche, den Nationalsozialismus zu einer Art Betriebsunfall zu verkleinern, endeten bisher mit dem Gegenteil: einem gesteigerten Interesse an Geschichte.
Die Walser/Bubis-Debatte markierte einen Bruch. Anders als beim Historikerstreit um Noltes Thesen war das liberale Bürgertum diesmal gespalten, wenn nicht sogar mehrheitlich auf Walsers Seite. Walser formulierte eine aggressive, neudeutsche Selbstbezogenheit, in der für jüdische Opfergeschichten kein Platz mehr ist. In seinen „Seelenfrieden“ wollte sich Walser von „niemandem, auch nicht von Ihnen, Herr Bubis, reinreden lassen“. Der Subtext solcher Sätze war unüberhörbar: Erinnern, gut und schön, aber müssen dabei dauernd die Juden dazwischenreden? Walser offenbarte in dem FAZ-Gespräch mit Bubis eine bemerkenswerte Herzlosigkeit: Kein Wort zu Bubis' Opferbiographie, dafür der gußeiserne Versuch, die deutsche Definitionsmacht über die Geschichte zurückzugewinnen.
Dieses Gespräch war eine Zäsur: Seitdem dürfen Deutsche über Juden öffentlich anders reden. Die liberale Öffentlichkeit sah darin freilich keinen Skandal, sondern wägte gelassen Pro und Kontra.
Naumanns Gedenken mit Gebrauchsanweisung hat, nach Walsers akzeptierter Entgleisung, trostlose Plausibilität gewonnen. Als ästhetisches Korrekturzeichen zu Eisenman ist das Dokumentationszentrum peinlich – erinnerungspolitisch hat es nun leider Sinn. Es ist das Eingeständnis, daß das riskante ästhetische Gedenken in Deutschland auch fünfzig Jahre danach ein didaktisches Geländer braucht. Denn eine künstlerische Annäherung an den Holocaust, die die Paradoxien des Gedenkens reflektiert, setzt eine aufgeklärte Gesellschaft voraus, die die Fragen von Schuld und Verantwortung für sich beantwortet hat. Doch seit Walsers Angriff kann man sich nicht mehr so sicher sein, ob die hiesige Bewältigungskultur wirklich die Tiefenschichten des kollektiven Bewußtseins erreicht hat, oder ob sie irgendwann wie ein überflüssiges Kleidungsstück abgelegt wird.
Es ist eine Binsenweisheit, daß jedes Denkmal weniger das, woran erinnert werden soll, bezeugt, als den Zustand jener, die das Denkmal bauen. Das Naumann/Eisenman-Mahnmal wird die verlegene Frage spiegeln, ob die Deutschen zur Empathie mit den Toten fähig sind. Stefan Reinecke
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