: Die Westspione müssen zittern
■ Der Gauck-Behörde ist es gelungen, Datenträger der DDR-Auslandsspionage zu knacken. Das gelieferte Informationsmaterial von über 4.500 Westagenten soll nunmehr einsehbar sein
Berlin (dpa/taz) – Die Berliner Gauck-Behörde kann erstmals genau rekonstruieren, welche Informationen die Auslandsspionage der DDR-Staatssicherheit von 1969 bis 1987 aus dem Westen erhalten hat. Es sei gelungen, vier Magnetbänder aus der Datenbank der Hauptverwaltung Aufklärung der Staatssicherheit (HVA) zu entschlüsseln, sagte der Sprecher der Gauck-Behörde, Johannes Legner, am Wochenende in Berlin. Er bestätigte damit einen Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.
Mit Hilfe der Datensätze lasse sich belegen, welcher Agent welche Informationen über welchen Politiker oder Wirtschaftsboß an die DDR verraten habe. „Für uns ist es der wichtigste Einzelfund in der gesamten Zeit der Erschließung der Stasi-Akten“, sagte Legner. Auf den Bändern sind 180.000 Datensätze von 4.500 Agenten aus den Jahren 1969 bis 1987 gespeichert. Belegen lasse sich nun etwa die Weitergabe von Geheimdokumenten durch den damaligen Nato-Top-Spion Rainer Rupp alias „Topas“.
Nach Spiegel-Angaben ist auch der ehemalige Vertraute von Alt- Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), Adolf Kanter, an die tausendmal registriert. Das CDU- Mitglied Kanter wurde 70jährig im März 1995 wegen Spionage für die DDR zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Auch der frühere SPD- Fraktionsgeschäftsführer Karl Wienand, ein enger Mitarbeiter des früheren Fraktionschefs Herbert Wehner, sei mit knapp 400 Einträgen verzeichnet. Wienand war 1996 zu zweieinhalb Jahren Haft und Rückzahlung von Agentenlohn in Höhe von einer Million Mark verurteilt worden.
Die Bild am Sonntag berichtete unterdessen, daß unter den Decknamen „Lichtblick“ und „Antonius“ zwei Agenten aus dem Vatikan berichtet hätten. „Antonius“ sei 1960 angeworben worden. Keine Informationen liegen derzeit zur Frage vor, ob der erschossene Kommandeur der Schweizergarde im Vatikan unter dem Decknamen „Werder“ seit 1979 für Ost- Berlin arbeitete. Die Gauck-Behörde hält es für möglich, daß durch die entschlüsselten Magnetbänder weitere Agenten der Staatssicherheit enttarnt werden können. Gauck-Direktor Peter Busse sagte im Nachrichtenradio MDR info, dafür brauche die Behörde die Karteien der früheren Hauptabteilung Aufklärung, die möglicherweise beim US-Geheimdienst CIA seien. Er hoffe, daß das Auswärtige Amt mit den Vereinigten Staaten eine Rückgabe dieser Unterlagen aushandeln könne.
Insgesamt habe die Behörde ungefähr 10.000 Bänder übernommen, die zunächst gesichtet und decodiert werden mußten, sagte Legner. Die Entschlüsselung sei erst kurz vor Weihnachten einem ehemaligen DDR-Telefontechniker und einem einstigen Zivilangestellten der Nationalen Volksarmee gelungen.
Der vor seiner Enttarnung im Nato-Hauptquartier in Brüssel tätige Westagent der HVA, Rainer Rupp (alias „Topas“), soll mehr als 1.000 zum Teil streng geheime Informationen an Ost-Berlin geliefert haben. „Bisher wußte ja keiner genau, welche Dokumente Topas weitergegeben hat“, sagte Legner. Die Anstellung von Rupp bei der PDS-Bundestagsfraktion hatte bei den anderen Parteien, aber auch in den Reihen der SED-Nachfolgepartei selbst heftige Kritik ausgelöst.
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