: Ein Sozi als Spitzendiplomat
Wim Duisenberg amtiert seit 1. Januar 1999 als Präsident der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Der Sozialdemokrat wurde noch vom ehemaligen deutschen Kanzler Helmut Kohl auf den Chefsessel gelotst. Nun soll er den mittlerweile überwiegend sozialdemokratisch geführten EU-Regierungen beweisen, daß er nicht nur ein beinharter Monetarist ist. Ein Portrait ■ von Hermannus Pfeiffer
Ohne viel Zutun fällt er aus der Rolle. Die Schuld daran trägt seine üppige Haarpracht, seine vielen weißen, wirren Haare. Diese wollen nicht recht passen zu Wim Duisenberg, einem der einflußreichsten Männer der Welt, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank und dem künftigen Herrn des Euro.
Es ist lediglich ein Frankfurter Börsenbonmot, daß Willem „Wim“ Duisenberg die Haare angesichts der schier übermenschlichen Arbeit, die vor ihm liegt, zu Berge stehen. Immerhin handelt es sich bei der Einführung des Euro nicht allein um die Schaffung einer neuen Währung, sondern um ein Abenteuer von unumstritten historischer Dimension.
Dabei starteten Duisenberg und sein Haus – und vielleicht ist dies bereits sein erstes Verdienst – im Sommer vorigen Jahres eher unauffällig in die neue Epoche der europäischen Wirtschaftspolitik. Das erste Treffen des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) im Eurotower am Frankfurter Theaterplatz führte am 9. Juni zu wenig mehr als 55 Personaleinstellungen, einigen organisatorischen Fußnoten und zweitrangigen Preisfestsetzungen im internationalen Zahlungsverkehr.
Im verhaltenen Ratschlag wurde das noch fremde Gewässer zunächst einmal ausgelotet, in dem während der folgenden Monate um Strategie und Taktik gekämpft wurde und wird. Nach und nach fällten die Eurobanker ihre strategischen Entscheidungen. Bereits entschieden war allerdings seit der Unterzeichung des Vertrages von Maastricht die eigentliche, die politische Vorgabe für die EZB: „Das vorrangige Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten.“
Diesem Ziel hätte sich der EZB-Steuermann auf mehreren Routen nähern können. Tatsächlich stand aber für den „germanischen Geldpolitiker“, so ein Frankfurter Wirtschaftsjournalist, nur eine Möglichkeit offen: eine strenge Geldmengensteuerung nach Art der Bundesbank. Die monetaristische Theorie, der die meisten Mitglieder der Bundesbank anhängen, besagt, daß die Preise stabil, also berechenbar bleiben, wenn die Geldmenge parallel zum wirtschaftlichen Wachstum steigt.
Gesteuert wird die Geldmenge über die Ausgabe von Zentralbankgeld und insbesondere über verschiedene Zinssätze, welche die Kreditinstitute für frische Euros an die EZB zahlen müssen. Dazu kommt – wie bisher hauptsächlich in Deutschland praktiziert – eine Mindestreserve, welche die Geschäftsbanken halten und, sehr zum Unwillen der Branche, kaum verzinst bei der Zentralbank hinterlegen müssen. Auch die Mindestreserve dient letztlich der Geldmengensteuerung und bildet zugleich eine Art von Sicherheitsfonds für das gesamte Finanzsystem.
Dabei, und das weiß auch der Niederländer Duisenberg, wurde sogar im selbsterklärten Stabilitätsmusterland Bundesrepublik zuletzt das von der Bundesbank formulierte Geldmengenziel häufiger deutlich verfehlt – ohne daß eine entsprechende Erhöhung der Preise folgte. Solche Erfahrungen und eine Flut von modernen Finanzinstrumenten ließen einige europäische Zentralbanken schon vor längerer Zeit Abschied nehmen vom schlichten (deutschen) Geldmengenziel.
So setzt etwa die Bank von England ein genaues Inflationsziel, zu dem die Steuerungsinstrumente hinführen sollen. Die Eurozentralbank entschloß sich zu einem Mix aus der deutschen Geldmengenpolitik und der englischen direkten Inflationssteuerung. Nach Äußerungen aus der Europäische Zentralbank könnte so ein moderater Preisanstieg zwischen null und zwei Prozent angestrebt werden.
Mit dieser Strategie war ein wesentlicher Kompromiß geschlossen – und genau das scheint der eigentliche Job von Duisenberg zu sein. Der EZB-Präsident ist nicht der Macher, sondern der Moderator in Euroland! Dabei kommt dem Sozialdemokraten zugute, daß er kein provokativer Machtmensch ist wie Rolf-Ernst Breuer. Der Chef der mächtigen Deutschen Bank darf bestenfalls auf den Respekt seiner Mitmenschen hoffen, Duisenberg hingegen gilt als selbstbewußt und trotzdem sympathisch.
Dabei ist der EZB-Präsident einer der gewichtigsten Männer der Welt – einerseits. Andererseits ist auch dieser Megamoderator lediglich Teilchen einer großen europäischen Maschinerie, die sich aus Dutzenden von Institutionen und Hunderten von Lobbymächten zusammensetzt. Wahrscheinlich war das früher nicht wirklich anders, aber heute machen „große Männer“ keine Geschichte! Und Duisenberg hinterläßt den beruhigenden Eindruck, daß er dies auch gar nicht will.
Im höchsten Organ seines Frankfurter Arbeitsdomizils, dem EZB-Rat, präsidiert Duisenberg fünf Mitgliedern seines Direktoriums sowie den elf Notenbankchefs aus den Eurostaaten. Angesichts dieser 11-plus-6-Situation muß Duisenberg stets den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen. Bislang scheint er diesen immer gefunden zu haben. „Er macht das gut“, lobt ein Beobachter aus seiner Umgebung.
Dabei muß eine „Heidenarbeit“ geleistet werden, wie Otmar Issing, Bundesbankvertreter im Eurodirektorium, im Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten einmal salopp formulierte. Aber Duisenberg ziehe das schnell und knackig durch, heißt von anderer Seite. Er habe den Ablauf fest im eigenen Griff und passe auf, daß er nicht überstimmt wird. Pressekonferenzen leitet er souverän und geschickt, und mancher bewundert, wie „charmant und klug Duisenberg unangenehmen Fragen ausweicht“ – ohne den Frager zu düpieren. Der Chef von sechshundert Eurobankern gilt den einen als Diplomat, andere halten ihn für einen begnadeten Opportunisten – Charaktere, die beide zum Profil seines Jobs hervorragend passen.
Denn die Europäische Zentralbank macht nicht allein Kompromisse, sie ist selbst – wie auch ihr Präsident – ein lebendiger Kompromiß. Schon die Berufung in den Eurochefsessel war ein solcher: Ein Franzose konnte es nicht sein, ein Deutscher durfte es nicht. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac hatte am Ende jedoch das kürzere Ende vom Kompromiß gezogen.
Erster Chef der neuen Zentralbank wurde der von Deutschland protegierte und von Helmut Kohl vorgeschlagene Niederländer Duisenberg, der sich während des Berufungsverfahrens von den Parteien hin und her schubsen ließ. Und ob er nach vier Jahren wirklich dem Franzosen Jean-Claude Trichet weicht, wie Chirac verlauten läßt, darf bezweifelt werden. „Ich kann noch immer beschließen, volle acht Jahre zu bleiben“, verkündete Duisenberg dazu.
Welche Ironie: Der konservative Bundeskanzler inthronisierte einen niederländischen Sozialdemokraten. Duisenberg hatte als Professor in Amsterdam Internationale Ökonomie gelehrt, bevor er holländischer Finanzminister und Parlamentsabgeordneter für die sozialdemokratische Partei der Arbeit wurde – im offiziellen Lebenslauf des Eurohüters wird sie als „sozialistische Partei“ geführt.
1981 wechselte Duisenberg nach einem Intermezzo bei der Rabobank zur Niederländischen Zentralbank und bald auf deren Präsidentstuhl. Daß Karriere nicht alles ist und die früheren professoralen Vorlesungen über Keynes doch noch nachklingen, machte Duisenberg deutlich, als er die Aufgabenstellung seiner Eurozentralbank nicht allein auf die Inflationsbekämpfung beschränkt wissen wollte. „Wenn die Preise stabil sind, kann die Zentralbank ihre Zinsen senken. Damit kann sie der Wirtschaft Wachstumsimpulse geben“, erklärte er dem Manager Magazin.
Das Problem ist nur: In Euroland können die nationalen Wechselkurse nicht mehr auf den realen Wirtschaftsprozeß einwirken, denn es gibt sie nämlich seit dem 1. Januar nicht mehr. Und auch die Geldpolitik für die elf Euroländer wird künftig in Frankfurt am Main definiert. Wie dann Konjunkturunterschiede zwischen den Eurostaaten, wie regionale Unterschiede ausgeglichen werden sollen, ist vollkommen ungewiß.
Postkeynesianer und linke Wirtschaftswissenschaftler rufen daher nach neuen Rezepturen. „Denke immer an die Arbeitslosigkeit“, ließ US- Wirtschaftsnobelpreisträger Franco Modigliani kürzlich seine verwirrten europäischen Zuhörer wissen. Monetäre Ziele allein seien viel zu wenig, die EZB bräuchte auch ein Beschäftigungsziel.
So weit würde Duisenberg nicht gehen. Aber auch er geißelte Ende November in einem Vortrag vor dem „Royal Institute of International Affairs“ in London die Arbeitslosigkeit in Europa „als unakzeptabel hoch“. Bei der Gelegenheit erklärte er, die EZB würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um das Problem zu lösen. Schließlich sei weder die Unabhängigkeit der EZB von politischen Vorgaben noch die Geldstabilität ein „Selbstzweck“. Konkret bedeutet dies zunächst das Anpeilen von niedrigen EZB-Zinssätzen, um so Konsum und Investitionen mit billigem Geld zusätzlich anzukurbeln.
Nach den jüngsten Leitzinssenkungen mehrerer Notenbanken in Westeuropa zeichnen sich nun auch niedrigere Leitzinsen für die Eurozentrale ab. Ob die Rückbesinnung Duisenbergs auch mit dem Wandel der politischen Landkarte in Europa zu tun hat, ist unbekannt. Der Holländer hat sich schon aus eigenem Interesse zu hüten, hierzu eine dezidiert eigene Meinung öffentlich vorzutragen. Einer Sozialdemokratisierung der Notenbankgeschäfte wird sich ein Duisenberg jedenfalls nicht in den Weg stellen. Ein Diplomat wie er würde sich politischen Opportunitäten nie verschließen.
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