„Übertrifft die Anforderungen“

Der glänzende Lügner und selbsternannte Arzt Gert Uwe Postel ist zu vier Jahren Haft verurteilt. Er hinterläßt verunsicherte Mediziner und Juristen – und eine Ahnung davon, wie einer von sich selbst getrieben werden kann  ■ Aus Leipzig Jens Rübsam

Ein Richter fällt ein Urteil. Ein Angeklagter muß in Haft. Allein: Die Sache ist nicht aus der Welt.

Der Richter muß sich fragen lassen, ob sein Richterspruch etwas nützt. Der Chefarzt, ein Zeuge, muß sich fragen lassen, ob er geeignet ist, einer psychiatrischen Klinik vorzustehen. Ein Ministerium muß sich fragen lassen, ob Personalangelegenheiten gehandhabt werden können wie Bleistiftbestellungen abzeichnen und anfordern. Justizbeamte müssen sich fragen lassen, ob Sachverständigengutachten Gültigkeit haben wie Speisepläne in Kantinen. Bei dem Verurteilten kann davon ausgegangen werden, daß Strafvollzug zu keiner Heilung führt. Hochstapler, sagen Psychologen, sind nicht therapierbar.

Doch der Reihe nach.

Hier ist zu berichten von dem Prozeß gegen Gert Uwe Postel. Der Hochstapler, genannt „falscher Arzt“, hatte sich vergangene Woche vor dem Leipziger Landgericht wegen Betrugs, Urkundenfälschung, Mißbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen zu verantworten. Von November 1995 bis Juli 1997 war Postel als Oberarzt für Psychiatrie im Sächsischen Landeskrankenhaus Zschadraß tätig. Seine Qualifikation: eine Ausbildung zum Postschaffner.

Da sitzt er nun in Saal 115 des Leipziger Landgerichts. Weiß nicht, wohin mit den langen Beinen, wohin mit den langen Armen, wohin mit den langen Fingern. Ein Lulatsch von einsvierundneunzig, eingepfercht zwischen schweren Holztischen. Ein 40jähriger mit Bubi-Gesicht und Grübchen, mit dem Charme eines Konfirmanden. Er trägt ein graugrünes Wolljackett, ein hellblaues Hemd, einen dunkelblauen Pullover. Gibt sich sanft, als müsse er Hilflosigkeit demonstrieren. Faltet die Hände, als müsse er an höherer Stelle Schutz beantragen. Schaut listig, als werde hier der Beschiß beim „Mensch ärgere dich nicht“ verhandelt. Flüstert einem seiner Rechtsanwälte beständig ins Ohr, als wolle er auch noch in der letzten Folge seiner Seifenoper Regie führen. Wahrlich: Es bereitet keine Freude, Gert Uwe Postel zuzuschauen.

Hören wir lieber dem Staatsanwalt und dem Richter zu. Wie Gurkenscheiben beim Raspeln fallen die gefälschten Zeugnisse, mit denen Postel sich beim Sächsischen Ministerium für Gesundheit, Soziales und Familie für eine Oberarztstelle im Landeskrankenhaus Zschadraß bewarb. Abiturzeugnis (Durchschnitt 2,5) eines Bremer Gymnasiums. Promotionsurkunde der medizinischen Hochschule Hannover („summa cum laude“). Approbationsurkunde der Hansestadt Hamburg. Facharztanerkennung der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Arbeitszeugnis der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster. Alle „beglaubigt“ mit einem falschen Stempel vom „Generalbundesanwalt“.

Abrechnungen werden im Saal verlesen, die Postel als psychiatrischer Sachverständiger sächsischen Gerichten präsentierte, 25mal befand er über die Schuldfähigkeit von Angeklagten. Ein Lebenslauf wird nachgezeichnet, in dem er angab, Sohn eines Theologen und Tochter einer Krankenschwester zu sein, zwei Kinder zu haben, Krankenpflegepraktika in New York und Wien absolviert zu haben. Im Arbeitszeugnis bescheinigte er sich, „gewissenhaft“ zu handeln und einen „guten Schuß Humor“. Alles gelogen.

Festgehalten wird vom Staatsanwalt: 202.929 Mark brutto hat Postel als Oberarzt in Zschadraß verdient. Dazu kommen gut 44.000 Mark Entschädigungsleistungen für Gutachten. Aus älteren Urteilen gegen Postel zitiert der Richter, beispielsweise aus dem Urteil des Flensburger Landgerichts von 1984. „Dr. med. Dr. phil. Clemens Batholdy“ nannte sich Gert Postel Anfang der 80er Jahre und geisterte als stellvertretender Amtsarzt durch Flensburg. Verurteilt wurde er zu einer Haftstrafe von einem Jahr auf Bewährung.

„Sie waren schon einmal in U-Haft. War das nicht nachhaltig genug?“ will der Richter in der Vernehmung später wissen. „Offenbar“, sagt Postel. Dreist ist er auch noch.

Was auffällt: Gern gibt sich Postel einen Adelstitel, mal ist er der Herr „von Berg“, mal der Herr „von Kleist“. Immer gibt er sich akademisch, „Dr. Klaus Höfer“, „Dr. Peter Kupfer“, oft ist er Arzt, hin und wieder Staatsanwalt oder Richter, einmal gar will er der Drahtzieher in der Barschel-Pfeiffer-Affäre gewesen sein.

„Persönlichkeitsstörung mit narzistischen Zügen“ bescheiden ihm die Sachverständigen im Prozeßverlauf, „Suche nach Akzeptanz“, „überhöhtes Selbstbild“, „süchtige Fehlleitung“ nennen sie die Hochstapelei und bemerken abschließend: „Er hat keine eigene Identität.“

„Es wurde ihm leicht gemacht“, sagt sein Rechtsanwalt Dr. Jürgen Fischer, ein gewiefter Mann aus Frankfurt/Main, der sich so fein ausdrückt, als habe er neben sich tatsächlich einen Herren sitzen, der nichts anderes kennt als gepflegte Konversation bei Champagner und Kaviarhäppchen.

Dabei ist davon auszugehen, daß Gert Uwe Postel ein Hochstapler wurde, weil er im Elternhaus nur Kartoffeln mit Quark bekommen hat. Der Vater entstammt einem akademischen Haus und bringt es nicht weit, nicht weiter als bis zum Kfz-Mechaniker. Die Mutter ist Mannequin, Schneiderin, dann für den Haushalt zuständig und hat ein „außereheliches Verhältnis“. Den Sachverständigen erklärt Postel, zu Hause „kaum Aufmerksamkeit“ bekommen zu haben. Den Vater beschreibt er als „sadistisch“, als einen, der „seine Entwicklung behindert hat“. Der Vater treibt ihn zur Post. Die Mutter hatte sich gewünscht, den Sohn als „etwas Besseres“ zu sehen, „im weißen Hemd“. 1979 nimmt sie sich das Leben. Der Junge beginnt seine Karriere – im weißen Kittel.

In einer Verhandlungspause sagt ein Beobachter im schönsten Sächsisch: „Der Junge hätte nur gefördert werden müssen.“ Es wird stimmen.

Die beiden bekanntesten Narren – sie sind keine Witzbolde. Arno Funke alias „Dagobert“, der eine hochspezialisierte Polizei foppte, war keiner; Gert Uwe Postel, „der falsche Arzt“, der gleich zwei Berufsstände – Psychiatrie und Justiz – vorführte, ist keiner. Die Sachverständigen bescheinigen Postel einen hohen IQ (115). Von seinem Chefarzt in Zschadraß, Horst Krömker, erhält er nach der Probezeit eine Beurteilung: Gesamtnote 11,74, was heißt: „übertrifft die Anforderungen“.

Bei seiner Zeugenvernehmung gibt sich Horst Krömker, ein Herr mit Glatze und grauem Haarkranz, vorsichtig – nicht ganz zu unrecht. Der Mann, Psychiater von Beruf und Menschenkenner von Berufung, hat mit einem Oberarzt zusammengearbeitet, der kein Arzt war. Sein Eindruck von Postel: „Sehr intelligent, Begabung für Menschen, Einfühlungsvermögen, soziale Kompetenz, kannte sich in der psychiatrischen Begriffswelt aus.“ Drei Stationen hatte Postel in Zschadraß zu betreuen, zwei psychiatrische und den Maßregelvollzug, 22 Alkoholiker.

In warmem Ton und bedächtig sagt Horst Krömker aus. Postel sei vorwiegend mit organisatorischen Aufgaben beschäftigt gewesen; bei fachlichen Fragen habe er ihn oder Assistenzärzte um Rat aufgesucht. Postel gibt in der Vernehmung an: Er sei auf „Händen getragen“ worden, es gebe „in der Psychiatrie eine Grauzone zwischen richtig und falsch“. Sein Chef Krömker bestätigt: Niemand sei durch Postel beschädigt worden. Der Sachverständige merkt an: „In der Psychiatrie wird nicht jeder Fehler sofort sichtbar.“

Während Krömkers Vernehmung kommt der Verdacht auf: Ein korrekter Chefarzt kann er nicht gewesen sein. Nie stellte er eine Frage, warum sein Oberarzt dies und jenes nicht wisse. Nie eine nach dem Thema seiner beabsichtigten Habilitation. Kaum eine nach seiner persönlichen Situation. In einem spärlichen Zimmer unterm Klinikdach lebt Gert Uwe Postel. Er betrachtet die Klinik „als Heimat“. 1996 nimmt er zehn Tage Urlaub. Muß da nicht ein Chefarzt, der angibt, „eine gute Beziehung“ zu seinem Oberarzt gehabt zu haben, Fragen stellen? Fällt es nicht auf, wenn einer zwei Jahre in psychiatrischer Behandlung war; Postel hatte sich von 1993 bis 1995 in Berlin einer Therapie unterzogen – immer nicht wissend: Bin ich das minderwertige Ich? Oder bin ich das Ich mit dem akademischen Titel, das Beachtung findet. Größte Beachtung.

Ostern 1996. Im Maßregelvollzug Zschadraß planen Insassen einen Massenausbruch. Oberarzt Postel reagiert schnell, faxt an Ministerium und Polizei. Der Ausbruch wird vereitelt. Postel bleibt der Dresdner Behörde in guter Erinnerung. Wenig später bekommt er ein Angebot: Chefarztstelle im Maßregelvollzug in Arnsdorf mit Anbindung einer Professur an der TU Dresden. Die Empfehlung kam von Günther Sippel, dem Personalchef. Dem hatte Postel auch beiläufig von seinem Vorhaben erzählt, in die sächsische CDU eintreten zu wollen.

Ministerialrat Günther Sippel, korrekt in Ton und Kleidung und sichtlich verunsichert, weiß an diesem Tag, an dem er als Zeuge aussagen muß, nicht so recht, wie ihm geschieht. Erst sagt er über Postel: „Er war offen. Machte einen kommunikativen Eindruck. Im fachlichen Part habe ich nicht erkennen können, das es Dissenzen gibt.“ Dann muß er zugeben, die Bewerbungsunterlagen nicht genau geprüft zu haben – aber wer prüft schon einen Zehn-Mark-Schein auf Echtheit! Schließlich stellt sich heraus: Sachsens Gesundheitsminister hat die Vorlage, die Postel zum Chefarzt machen sollte, unterschrieben. Das Kabinett hat sie abgenickt. Doch Postel machte selbst einen Rückzieher. Vielleicht aus Angst, entdeckt zu werden.

Die Einstellungspraxis des sächsischen Sozialministeriums hat sich geändert. Verlangt wird jetzt nicht nur die Gauck-Auskunft, sondern auch ein Führungszeugnis, was bei Postel nicht der Fall war. Zynisch zeigt sich Rechtsanwalt Nicolas Becker im Plädoyer: „Im Ministerium wollte man offenbar lieber einen westdeutschen Hochstapler als einen qualifizierten Stasi-Zuträger.“ Postel entflieht ein komisches Lächeln, wie immer, wenn die Staranwälte – Becker verteidigte Honecker, Fischer agierte im Memminger Abtreibungsprozeß – sich in den Worten vergreifen. Sie tun das des öfteren.

Nüchtern analysiert indes der Sachverständige: Postels Gutachten „enthalten keine klaren Diagnosen, ihnen fehlt jeder psychische Befund“. Was heißt: Sie sind nichts wert – „zum Glück“, raunzt eine Dame im Publikum. Hatte doch Postel über die Schuldfähigkeit von Angeklagten zu befinden, über Gefängnis oder Psychiatrie. Andererseits: Sind den Richtern die läppischen Gutachten nie aufgefallen? Kam es ihnen gelegen, ein belangloses Schriftstück zu haben, das sie nicht beachten brauchten? Rechtsanwalt Becker mahnte an, die Jusitz solle ihr Verhältnis zur forensischen Psychiatrie überprüfen. Postel grient. Nicht lange.

Zu vier Jahren Haft wird Gert Uwe Postel am Freitag abend verurteilt. Der Richter gibt sich am Ende väterlich: „Sie waren kein Arzt. Sie sind ein Schauspieler.“ Er hat einen naheliegenden Rat: „Bringen Sie die Haftstrafe hinter sich!“ Doch damit ist die Sache nicht aus der Welt.