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Schriften zu ZeitschriftenBandenkrieg

■ Die Zeitschrift „Texte zur Kunst“ schießt sich auf das neue Genre der Netzkunst ein

„Mich interessiert zur Zeit der Clash und der Dialog zwischen der Konzeptkunstmafia und der Medienkunstmafia“, sagt der Medientheoretiker Geert Lovink in einem Interview, das in der aktuellen Ausgabe der Kölner Zeitschrift Texte zur Kunst erschienen ist. Prägnanter könnte man den Konflikt und das Lagerdenken, das die aktuelle Ausgabe dieses Magazins prägt, kaum auf den Punkt bringen: Mafia gegen Mafia. Texte zur Kunst (kurz: TZK) kann dabei als Organ der „Konzeptkunstmafia“ (Lovink) gelten.

Daß das Konzeptkunstlager die Medien- und Netzkunst mit ebensoviel Mißtrauen wie geheimem Interesse beäugt, hat seinen guten Grund. Denn zwischen den beiden Schulen gibt es, wie Lovink sagt, „Dutzende von Querverbindungen“: Für ihn begann die Spaltung zwischen Medien- und Konzeptkunst mit Fluxus: „Danach hat eine gewisse Gruppe nur noch entlang der Technologie weitergearbeitet, und daraus entstand die Sparte Video-/Medien- und Elektronische Kunst... Und jetzt kämpfen die jungen Kuratoren aus dem contemporary art-Lager damit, daß sie nichts von Computern und Netzen verstehen, und rätseln, wieso diese Kluft überhaupt existiert.“

Und das, so Lovink, obwohl „immer mehr Künstler beginnen, mit dem Computer zu arbeiten – trotz wiederholter Warnungen aus Köln, Wien und New York... Wird es einen Bandenkrieg geben? Oder interessante Koalitionen?“ Mit ihrer aktuelle Ausgabe zum Thema Medienkunst macht TZK die hausinterne Redaktionspolitik klar: Bandenkrieg! Das Imperium schlägt zurück!

In diesem Heft schießt sich TZK auf das relativ neue Genre der Netzkunst als aktuellste Manifestation künstlerischer Arbeit mit „Neuen Medien“ ein. Die meisten Einwände, die dabei gegen die Netzkunst vorgebracht werden, sind sattsam bekannt und können so zusammengefaßt werden:

1. Die Arbeit mit sogenannten Neuen Medien macht KünstlerInnen gewissermaßen automatisch zu nützlichen Idioten der Hardware-Hersteller. Ästhetik und künstlerische Ideen treten dabei gegenüber dem Beherrschen der jeweiligen Technologien in den Hintergrund.

2. Nur weil KünstlerInnen mit einem neuen Medium arbeiten, heißt das nicht, daß ihre Kunst darum neu oder innovativ ist.

3. Und trotzdem halten sich diese Leute zu allem Überfluß auch noch für eine neue Avantgarde.

Diese Argumente treffen die Netzkunst nicht. Wenn es KünstlerInnen gefällt, können sie neue Technologien wie das Internet natürlich ignorieren, was sie aber von einem großen, immer weiterwachsenden Teil des potentiellen Publikums für Gegenwartskunst in Westeuropa und Nordamerika isoliert. Daß Netz-/Medien-/Computerkunst sich dieser neuen Technologien bedient, macht sie nicht automatisch zu einer Avantgarde – was auch schon wirklich lange niemand mehr behauptet hat.

Auch die Unterstellung, daß die Netzkunst die Bedingungen, die ihr durch Soft- und Hardware aufgezwungen werden, unhinterfragt übernimmt, ist nicht richtig, im Gegenteil: Die technischen Paradigmen werden in der Netzkunst laufend thematisiert und hinterfragt, wie zum Beispiel die zahlreichen, selbstprogrammierten Browser von Künstlern oder Paul Garrins „name.space“- Projekt belegen. Dafür müßte man diese Arbeiten freilich erst einmal kennen statt sich – wie TZK es tut – auf die leicht konsumierbaren Arbeiten im World Wide Web zu beschränken.

Was an der Netzkunst von dauerhaftem kunstgeschichtlichen Interesse sein könnte, das weiß in der Tat noch niemand. Na und? Ihr Reiz besteht gerade in ihrem Status als Experimentallabor des Internets. Die frühen künstlerischen Experimente im Netz werden in TZK nun als endgültige Manifestation „der Netzkunst“ verbraten. Diese High-art-Perspektive auf die Netzkunst verkennt systematisch eine ihrer wichtigsten Eigenschaften: nämlich die, daß im Internet jede/r ein/e KünstlerIn sein kann, vorausgesetzt, er hat einen Computer, ein Modem und Zugang zum Netz. Aus diesen Arbeiten nun eine einheitliche „Netzkunst“-Front zu konstruieren (und diese dann geschlossen abzuurteilen), ist ein zweifelhaftes Unterfangen. Das Interessante an der Netzkunst ist ja gerade, daß sie in einem relativ neuen Territorium operiert, in dem Regeln und Maßstäbe noch nicht endgültig definiert sind. Daß diese Situation die hegemoniale Position des Kritikers in Frage stellt, hat man bei TZK richtig erkannt. Da paßt es ins Bild, daß zu keiner der vorgestellten Arbeiten die Netzadresse mitgeliefert wird – sonst könnten sich die Leser die Arbeiten ja selbst ansehen und sich ihre eigene Meinung bilden.

In ihrem mit zahlreichen falschen Faktenbehauptungen durchsetzten Aufsatz über Netzkunst kommt die TZK- Chefin Isabelle Graw schließlich zu einem bemerkenswerten Schluß: „Dadurch, daß die Netzkunst mit einem Medium operiert, das den Kontext gleich mitliefert, wird eine entscheidene Leistung von Kunst aufgegeben; ihre doppelte Markierung durch künstlerische Markiertheit und gesellschaftliche Verfaßtheit...“ Das heißt im Klartext: Netzkunst ist per se keine Kunst, weil sie nicht im Kunstkontext stattfindet, sondern im Internet.

Mit diesem Totschlagargument könnte man freilich auch jede andere Kunstpraktik diskreditieren, die irgendwann mal versucht hat, aus dem White Cube der Galerie auszubrechen: Graffiti, Mail-art, Land- art, Happening, Performance, Aktionen im öffentlichen Raum etc. Und wenn man es sich richtig überlegt eigentlich alles, was an der Kunst nach 1945 interessant gewesen ist... Tilman Baumgärtel

„Texte zur Kunst“, Heft 32 (Dezember 1998), 25 DM

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