: Rot-grüne Harmonie auch ohne Konsens
■ In Bonn streicheln sich die Koalitionäre wie selten: Der angekratzte Umweltminister Jürgen Trittin hat's auch nötig. Eine Verschiebung des Atomausstiegs auf Jahre hinaus wollen die Bündnisgrünen allerd
In „kooperativer Atmosphäre“ hätten die Konsensgespräche stattgefunden. „Erfreulich“ sei es, daß die Energieversorger das Primat der Politik anerkennen wollten. Ebenfalls „positiv zu verbuchen“ sei der Wille, die Frage der Entsorgung neu zu diskutieren. Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) kam vor den Kameras beim Aufzählen aller guten Nachrichten richtig in Schwung. Da fiel es schwer, aufzuhören: „Weiterhin erfreulich...“ Ach nein, das nun doch nicht. Ein Versprecher. „Es hat einen Dissens gegeben.“ Nämlich über die Frage, was in der Novelle des Atomgesetzes drinstehen soll.
Ein moderater Umgangston und der Austausch von Freundlichkeiten schien gestern vielen Mitgliedern der rot-grünen Regierungskoalition im Zusammenhang mit der Atompolitik ein Herzensanliegen zu sein. Nur nicht das Wort Krise in den Mund nehmen! Besonders gelobt wurde Jürgen Trittin, den auch Sozialdemokraten vor dem Vorwurf der Uneinsichtigkeit in Schutz nahmen: „Der Umweltminister hat sich an das gehalten, was wir in Berlin vereinbart haben“, erklärte gestern SPD- Fraktionschef Peter Struck mit Blick auf das Koalitionsgespräch am 13. Januar. Auch der Kanzler bescheinigte seinem Minister Offenheit und Diskussionsbereitschaft: „Jürgen Trittin ist nicht jemand, der nicht zugänglich wäre für diese Debatte, im Gegenteil.“
So pfleglich wird in Bonn im allgemeinen nur einer behandelt, der Unterstützung nötig hat. Hinter vorgehaltener Hand wird auch in den eigenen Reihen die Kritik an Jürgen Trittin lauter. Ob dessen Entsorgungskonzept denn wirklich Hand und Fuß habe, und ob das Ministerium nicht auf vorhersehbare Einwände besser hätte vorbereitet sein müssen, fragten sich gestern Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen am Rande der Fraktionssitzung. Im Außenministerium von Trittins Parteifreund Joschka Fischer hatte sich die Begeisterung über die ursprünglich geplante schnelle Einbringung des Gesetzes ohnehin in Grenzen gehalten. Dort ist die Prüfung völkerrechtlicher Fragen noch nicht abgeschlossen.
Der Umweltminister steht auch nach Ansicht vieler, die ihm wohlgesonnen sind, derzeit mit dem Rücken zur Wand. Nüchtern betrachtet hat allerdings auch Gerhard Schröder ein schlechtes Bild abgegeben: Den Angaben seines Regierungssprechers zufolge hat er am Sonntag abend einen Blick auf den Gesetzesentwurf geworfen. Dabei will er sofort erkannt haben, daß das Steuer herumgerissen werden mußte – ganz so, als seien die Eckpunkte der Novelle nicht schon seit Wochen öffentlich bekanntgewesen.
Ohnehin weist diese Darstellung einige seltsame Widersprüche auf, waren doch Bedenken gegen den Entwurf in der SPD-Fraktion schon Ende letzter Woche laut geworden. Hatte dem Kanzler davon niemand erzählt? Offenbar nicht. Noch am Sonntag abend versprach Schröder in einer Fernsehaufzeichnung, die Atomnovelle solle wie geplant in dieser Woche vom Kabinett abgesegnet werden. Hätte Kanzleramtsminister Bodo Hombach seinem Chef diese Blamage nicht ersparen können?
Im Umgang mit dieser Peinlichkeit kam Bundeskanzler Gerhard Schröder wieder einmal sein geschmeidiger Umgang mit den Medien zugute. Aufgeräumt wie stets lachte und scherzte er mit den Journalisten. Und vermittelte dabei wie selbstverständlich den Eindruck, er habe nie ein anderes als das jetzt erzielte Ergebnis bei den ersten Gesprächen mit der Atomwirtschaft im Auge gehabt. „Es ist mein Job, zwischen dem, was wünschbar ist, und dem, was geht, zu vermitteln.“
Aber es gibt immer Spielverderber. Wie Schröder denn plötzlich seine neuen Erkenntnisse gewonnen habe, wollte ein Journalist wissen. Der Kanzler stutzte. „Das ist eine Fangfrage“, gibt er zurück und läßt erst einmal den Vertreter der Energiewirtschaft zu Wort kommen. Als der fertig ist, hat sich auch Schröder so weit gefangen, daß er die Frage wortreich nicht beantworten kann.
Die inhaltliche Diskussion über das Ergebnis der ersten Konsensgespräche hat in den Fraktionen gerade erst begonnen. Gestern mochte sich niemand präzise festlegen. „Wir sind uns zwischen den Fraktionen einig, daß wir die Wiederaufarbeitung beenden wollen“, erklärte die parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Kirstin Heyne. Bisher sei sie über Einzelheiten aber noch nicht umfassend informiert. Wenn es allerdings darauf hinauslaufe, daß noch vier, fünf oder sechs Jahre so weitergemacht werde wie bisher, „dann kann ich mir nicht vorstellen, daß wir damit leben könnten“. Der Atomausstieg sei ein „grünes Identitätsmerkmal“. Was denn nach bisherigem Sachstand noch dafür spreche, daß dieser Ausstieg unumkehrbar sei? Die Frage blieb offen.
Kleiner Trost: Jede Entwicklung bietet irgendeinen Anlaß zur Freude. Im Fraktionssaal der Grünen lagen gestern Papiere mit einem Überblick über die parlamentarische Woche auf den Plätzen. „Fr., 29.01.99: sitzungsfrei, kein Präsenztag.“ Da hätte eigentlich das neue Atomgesetz debattiert werden sollen. Bettina Gaus, Bonn
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