Analyse: DAG gegen Regierung
■ Gewerkschaft will gegen geplantes Gesetz über 630-Mark-Jobs klagen
Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) bereitet Musterklagen gegen die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung vor. Sie hält Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung ohne Gegenleistung für verfassungswidrig. Unterstützung findet sie bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es, das von der rot-grünen Regierung geplante Gesetz sei ein „Schritt in die falsche Richtung“. Es verhindere nicht eine weitere Aufspaltung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse in 630-Mark-Verträge. Mit ihrem Unmut stehen sie nicht alleine da. Auch der DGB murrt seit langem.
Das Gesetz soll in den kommenden Wochen verabschiedet werden. Die bisher geltende Pauschalbesteuerung von rund 23 Prozent soll fortfallen. Künftig zahlt der Arbeitgeber zehn Prozent an die Krankenversicherung und zwölf Prozent in die Rentenkasse. Einen eigenen Anspruch auf Rente erwirbt aber nur der Arbeitnehmer, der von seinem Lohn 7,5 Prozent freiwillig in die Kasse zahlt. Die DAG fürchtet, daß der Bundestag dem Gesetz zustimmen wird. Dadurch würden zwei Gruppen benachteiligt. Zum einen die Alleinerziehenden, die neben ihrem versicherungspflichtigen Job noch eine 630-Mark-Beschäftigung ausüben. Ihre beiden Einkommen werden künftig addiert und gemeinsam besteuert. Anders bei hinzuverdienenden Verheirateten: Ihr Billigjob soll steuerfrei bleiben. Dies widerspreche dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Familien, argumentiert die DAG. Sie sieht gute Chancen für eine Klage, zumal das Bundesverfassungsgericht kürzlich festgestellt hat, daß verheiratete und alleinerziehende Eltern gleichbehandelt werden müssen.
Auch für die zweite Musterklage fühlt sich die Gewerkschaft durch das Verfassungsgericht bestärkt. Im Prinzip, so die Richter, müsse einem Beitrag in die Sozialkasse auch eine Leistung gegenüberstehen. Das geplante Gesetz will aber geringfügig Beschäftigten keinen Anspruch aus der Rentenversicherung gewähren. Einen Anspruch auf Rehabilitationsmaßnahmen soll niemand haben. Das empört die DAG.
Hinter der Klageandrohung verbirgt sich abermals eine generelle Attacke gegen die Billigjobs. Diese Form des Arbeitsverhältnisses nimmt stetig zu. Vor sieben Jahren wurden 4,45 Millionen Beschäftigte gezählt, vor zwei Jahren waren es bereits 5,6 Millionen. Hausfrauen und Hausmänner stellten 1997 mit 39 Prozent die größte Gruppe. Die Befürchtung, daß immer mehr reguläre Vollzeitjobs in preiswerte Teilzeitjobs ohne soziale Absicherung umgewandelt werden, ist gerechtfertigt. Zur Bundestagswahl hatte die SPD noch davon geredet, die Billigjobs gänzlich abschaffen zu wollen. Damals war ihr die Unterstützung der Gewerkschaften noch wichtig. Annette Rogalla
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