Allein mit einem Pinot Grigio

100 Tage nach der Öffnung werden in Debis-City abends die Gehsteige hochgeklappt, und manchmal schleichen neben Wachmännern auch Kinobesucher durch die Kulisse  ■ Von Rolf Lautenschläger

Um 19.30 Uhr gehen die beiden Security-Männer vom GWS-Sicherheitsdienst schon mal eine Kippe rauchen. Weil es kalt ist vor den Türen des Einkaufs-Centers „Potsdamer Platz Arkaden“, drücken sich beide in eine Ecke am Eingang und erwischen manchmal den warmen Luftzug, der nach draußen weht, wenn ein Besucher die „Arkaden“ verläßt. Viel Wärme erhalten die beiden nicht, denn nur noch wenig Käufer befinden sich im Innern der langen Mall. „In der Woche“, klagt GWS-Mann Manfred Stiel*, „könnten wir um die Zeit eigentlich Feierabend machen. Für die paar Einkäufer und Kneipenbesucher lohnt sich der Aufwand kaum.“ Klar, an Wochenenden oder wie zur Weihnachtszeit, mache der Dienst noch Sinn. „Aber heute“, sagt er und tritt die Zigarette aus, „bewachen wir eine leere Glaskiste.“

Bis 24 Uhr müssen Stiel und sein Kompagnon gemeinsam mit einem guten Dutzend anderer Security-Männer in den „Arkaden“ noch Wache schieben. 170 Schritte auf, 170 Schritte ab. Wieviel sie täglich laufen, wissen sie nicht. Die Geschäfte machen um 20 Uhr dicht. Aber weil von der halböffentlichen Einkaufsmeile ein Zugang zur U-Bahn führt und in den Restaurants, Cafés und Imbißbuden sich auch nach Ladenschluß ein paar Gäste verlieren, sorgt das ECE-Management bis dahin für Ordnung. „Hell, sicher, sauber, freundlich“, sagt ECE-Geschäftsführer Helmut Koprian, müsse das Center bis zum Abwinken sein. Auch der letzte der täglich rund 70.000 Besucher werde gesichert, und wenn der gegangen ist, das menschenleere Haus.

Während tagsüber die neue Debis-City am Potsdamer Platz Baustellentouristen, Angestellte, Käufer und Verkäufer en masse anzieht, bleibt das seit Oktober eröffnete Stadtgebilde nachts Kulisse. Schon kurz vor 20 Uhr verlieren sich die Menschen wie einsame Statisten auf dem Areal. Helen Porzig, Verkäuferin im Modekaufhaus Wöhrl, packt ab 19.00 Uhr kaum noch Mäntel auf die Kleiderstangen. Bei Ciacomelli Sport schminkt sich die Kassiererin bereits für den Nachhauseweg. Sandra, Verkäuferin bei Eddi Bauer, langweilt sich um diese Zeit ebenso wie ihre Kollegin von H&M. Vom „Boom des Nachmittags merke ich abends nichts“, sagt Porzig. Und seit die Schnäppchen vom Winterschlußverkauf weg sind, sei abends tote Hose in den 120 Läden.

Ein gutes Geschäft macht nach 20 Uhr nur der Asia-Schnellimbiß. Dort drängen sich bis halb neun die Verkäufer. Während beim Kartoffel-Restaurant Pommes de terre „um neun die Küche schließt“, wie die Köchin knapp mitteilt, und im Wiener Café gegenüber auf vier Bedienungen ein Kunde kommt, herrscht bei Wang Kantinenatmosphäre. Der Chinese kommt kaum nach, sein günstiges Abendessen zu servieren. „Bis neun Uhr und später ist hier Hochbetrieb“, hat er beobachtet. Dann „rennen“ alle nach Hause. „Wir auch“ – nach Schöneberg.

Denn rund um die Arkaden sind nach zwischen 21.00 und 22.00 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt worden. Dem künstlichen Ort mit seinen zugigen Plätzen mangelt es nicht nur an Lebendigkeit, die ECE-Mann Koprian „durch längere Öffnungzeiten“ zu erreichen glaubt. „Städte leben durch den Handel“, sagt er – und meint Konsum, dem eigentlchen Problem der Debis-City.

Aufenthaltsqualitäten fehlen, der öffentliche Raum ist totlangweilig, ebenso mangelt es an einer bunten Mischung von Bewohnern. Man geht ins Cinemaxx oder ins Imax-Kino und dann zurück in den Kiez. An Wochentagen, ganz im Gegensatz zum Samstag, brummt selbst das Cinemaxx nicht. Ganze 200 Karten haben die Verkäufer für die insgesamt 3.500 Plätze in der letzten Stunde verkauft. „Die Spätvorstellung ist ein Flop“, sagt ein Platzanweiser.

Nicht besser ergeht es den Kneipiers rund um den Marlene-Dietrich-Platz. Das beste Geschäft macht noch McDonalds. Kaum Gäste sitzen auf den Barhockern im Bistro B. Der Kellner wischt Gläser rein, als wollte er einen Sauberkeitspreis gewinnen. Während er noch an „Kinobesucher, die Bierdurst haben“ glaubt, sieht man den Kellnerinnen im Dietrichs wenig Hoffnung auf mehr Gäste an. Anne Waligora serviert den Pinot Grigio für einen einzigen Gast. Und der Taxifahrer glaubt, die wahren Wünsche der Kunden zu kennen: „Zum Kurfürstendamm?“ fragt er und gibt Gas.

*Name von der Redaktion geändert