piwik no script img

Krawall bei der CDU-Unterschriftensammlung

■ Zum Sammelauftakt gab's am Wochenende in der City einen Polizeikessel und ausländerfeindliche Sprüche

Um kurz nach zehn Uhr ist es am Samstag morgen noch friedlich auf dem Hanseatenhof. „Guten Morgen, möchten Sie auch unterschreiben, für die Integration ausländischer Mitbürger, aber gegen die doppelte Staatsbürgerschaft“, lächelt die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Brigitte Dreyer (früher Österreicherin, heute Deutsche) einen älteren Herrn an. „Danke, gern“, sagt der Mann.

Bereitwillig erklärt er, warum er unterschreibt. „Nach '45 sollten alle deutschen Männer kastriert werden. Heute müssen wir alles bezahlen. Ich habe nichts gegen Ausländer. Amerika ist herrlich. Es ist schön, wenn sich die Völker vereinigen.“ Eine ältere Frau geht auf Bürgermeister Hartmut Perschau zu. „Herr Perschau, neulich saß ich in der Bahn. Vier farbige Kinder – ein Sportwagen schöner als der andere. Das gibt mir zu denken.“ Die Dame geht an den Stand und unterschreibt. Als Perschau die Blicke der Journalisten bemerkt, sagt er: „Naja, es gibt schon eine irrsinnige Informationslücke bei einigen Leuten.“

Ein älterer Herr drängt an den Stand. „Möchten Sie unterschreiben“, fragt Brigitte Dreyer. „Aber sofort, aber sofort“, erwidert der Mann. Er ist so aufgeregt, daß sich seine Stimme fast überschlägt. Die „Osmanisierung von Walle und Gröpelingen“ bringt ihn auf die Palme. „Ich verliere jetzt meine Wohnung. Die knallen die Wohnungen bis oben hin voll mit Türken und Kurden.“ Dreyer: „Aber Sie kommen doch mit ihren ausländischen Mitbürgern aus?“ Der Mann nickt, dreht sich um und geht. „Ich habe ein großes Interesse daran, daß unsere Aktion nicht mißverstanden wird“, sagt Brigitte Dreyer kurz darauf einer Journalistin ins Mikrophon.

Der Mann kommt zurück. „Ihre Frage finde ich frech“, sagt er. „Wohnen Sie mit Türken zusammen“, will er von Dreyer wissen. Die Abgeordnete schüttelt den Kopf. „Die Kinder gehen erst nachts um eins schlafen. Das ist ein völlig anderer Kulturkreis. Ich bin herzkrank. Ich komme nicht zum Schlafen. Das hält kein Kamel aus. Dabei wohne ich doch beim Reichsbund.“

Um den Hanseatenhof postieren sich immer mehr Polizisten in Zivil – einige verraten sich durch den Schlagstock am Gürtel. Etwa 100 Polizisten sind insgesamt im Einsatz. Die PDS verteilt Flugblätter. „Stoppt CDU/CSU - Schluß mit der rassistischen Hetze“, steht darauf. Etwa zehn Meter vor dem Unterschriftenstand steht eine kleine Gruppe. CDU-Innensenator Ralf Borttscheller, der Perschau inzwischen abgelöst hat, geht auf die Gruppe zu. „Sie scheinen so inte-ressiert“, sagt er. „Der Innensenator schickt nicht seine Kommandos, sondern kommt selbst“, spottet ein Mann. „Wir sind vielleicht gefährlicher als die PKK und die RAF, aber nicht so gefährlich wie Sie“, ruft ein anderer. „Das nenne ich Dialogfähigkeit“, sagt der Innensenator und dreht sich um.

Die PDS entrollt ein Transparent. „Stoppt CDU/CSU - wider der rassistischen Hetze.“ Eine Menschenkette kreist den Stand ein. Ein älterer Herr versucht die Kette zu durchbrechen. „Ich will unterschreiben“, ruft er und versucht die Hände der Demonstranten auseinanderzureißen. Die Demonstranten lassen ihn nicht durch. Die Protestler drängen an den Stand. Die Zivilpolizisten versuchen die Demonstranten wieder wegzudrängen. Ein Polizist schubst zwei Protestler, einen Mann und eine Frau, zur Seite. „Ihre Dienstnummer“, schreit die Frau. „4711“, zischt der Polizist und rempelt die Frau so hart an, daß sie hinfällt. Sie steht auf und stürzt auf den Polizisten zu. Hinter ihm taucht plötzlich der Innensenator auf. Die Frau schlägt zwei Mal in Richtung des Senators – ohne ihn zu treffen.

Immer mehr Demonstranten blockieren den Weg zum Stand. Eine ältere Frau versucht sich vorzudrängen. Im Gedränge versetzt ihr jemand einen Stoß. „Schreiben Sie bitte auch, daß ich hier behindert worden bin“, preßt sie atemlos hervor. VW-Busse fahren vor. Uniformierte Polizisten springen heraus und drängen die Demonstranten zurück. „Sie haben noch zwei Minuten, sich zu entfernen, danach helfen wir“, ruft ein Polizist. Die Demonstranten, etwa 50, schreien: „Polizisten schützen die Faschisten.“ Die Demonstranten rennen auseinander. Als sich der Polizeikessel schließt sind etwa 20 Demonstranten eingeschlossen. Ein Beamter, offenbar der Einsatzleiter, erteilt ihnen Platzverweise.

Auf dem Hanseatenhof hat unterdessen der Run auf den CDU-Stand begonnen. „Warum sollen wir in Europa nicht zwei Pässe haben“, fragt ein Mann, der sich als „Türke mit deutschem Paß“ zu erkennen gibt, einen älteren Herrn. „Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen“, sagt der und fängt an, von seinem letzten Türkei-Urlaub zu erzählen: „Meine Frau hat Alkohol getrunken. Nur ein kleines Glas und sie wurde von oben bis unten mit Wasser bespritzt. Sitten sind das.“ „Wasser“, gibt der Deutsch-Türke zurück. „Haben die Türken Euch Deutsche vielleicht verbrannt?“

Den Standhelfern sind inzwischen die Unterschriftlisten ausgegangen. Mehr als 1.000 Bremer haben gegen die doppelte Staatsbürgerschaft unterschrieben. Die Passanten unterschreiben auf Postkarten. Eine junge Frau (dunkle Haare, dunkle Augen, südländisches Aussehen) diskutiert mit einem Seemann. „Deine Männer kenne ich“, sagt er und zieht sein Seefahrtsbuch aus der Manteltasche. „Ich war auf der ganzen Welt. Die sitzen nur da mit ihrer Wasserpfeife, und die Frauen müssen arbeiten.“ CDU-Geschäftsführer Günter Feldhaus geht auf die Frau zu. „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen“, sagt er. „Aus welchem Land kommen Sie?“ Die Frau lächelt. „Ich bin Deutsche.“ kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen