: Linien der Zerstörung
Orientierungssuche auf schiefen Ebenen: Daniel Libeskinds Neubau für ein Jüdisches Museum in Berlin hat die erste Bewährungsprobe glänzend bestanden. Über achttausend Neugierige besuchten das leere Gebäude, betasteten seine Wände und nahmen es in Besitz ■ Von Ulrich Clewing
Der Kontrast könnte härter nicht sein. Auf der einen Seite das ehemalige Kammergericht, eines der wenigen erhaltenen barocken Gebäude in Berlin, filigran und zierlich, trotz seiner beachtlichen Größe. Und daneben der Neubau des Jüdischen Museums, ein silbern glänzendes, zersplittertes, scharfkantiges Stück Architektur, unüberschaubar und rätselhaft, das diejenigen, die es beschreiben sollen, von Anbeginn in erheblichen Formulierungsnotstand gebracht hat. Der Grundriß ähnele einem zerborstenen Davidstern, hieß es, erinnere an einen zehnfach geknickten Blitz oder – spätestens seit Eschede – an einen entgleisten ICE. Deutlich macht dies und dergleichen mehr vor allem eines: Gegenüber großer Kunst, und darum handelt es sich auf jeden Fall, bleibt immer ein Rest Sprachlosigkeit.
Und auch das ist sicher: Das Jüdische Museum von Daniel Libeskind, das am Samstag abend anläßlich der „langen Nacht der Museen“ erstmals dem Publikum vorgestellt wurde, ist alles andere als ein Zweckbau. Dieses Haus ist nicht in erster Linie dazu gemacht, sich unterzuordnen, zu dienen, eine wie auch immer geartete Sammlung von Ausstellungsstücken uneigennützig zur größtmöglichen Wirkung zu verhelfen. Es beansprucht selbst Präsenz, will seine suggestive Ausstrahlung entfalten und darin wahrgenommen werden. Die symbolischen Konnotationen, die Libeskind dem Jüdischen Museum mitgegeben hat, sind so stark, daß nicht wenige meinen, man brauche darüber hinaus eigentlich kein Holocaust-Mahnmal mehr, denn dieser Bau sei das Holocaust-Mahnmal schlechthin.
Das stimmt und stimmt gleichzeitig auch nicht. Dieses Jüdische Museum ist Form gewordene Zerstörung, keine Frage. Es gibt hier den freistehenden, über einen unterirdischen Gang erreichbaren „Holocaust-Turm“, einen kahlen, dunklen, atemberaubend schroffen Raum, der weder beheizt noch sonstwie klimatisiert wird. Ganz oben, drei Stockwerke höher, sind zwei schmale Fensterschlitze offen, die einen das „Licht am Ende des Tunnels“ sehen lassen, hoffnungslos weit weg.
Es gibt die „Voids“, absichtlich leere Schächte, von denen einer auch begehbar ist, die den Verlust von Kultur, jüdischer Kultur, zum Thema haben. Es gibt auch den E.-T.-A.-Hoffmann-Garten, der die BesucherInnen verunsichern und ihnen das Gefühl geben soll, daß der Boden unter ihren Füßen schwankt, so wie es die Exilanten empfunden haben müssen – ein prätentiöses Detail in diesem Gesamtplan, das am ehesten die Eitelkeit des Architekten spiegelt (siehe auch Seite 14, „Unterm Strich“).
Aber Libeskind ist Profi genug, um daneben natürlich etliche Räume gebaut zu haben, die sich eindrucksvoll werden bespielen lassen. 9.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche hat das neue Museum, verteilt auf drei Etagen. Einen eigenen Eingang dagegen besitzt es nicht, man betritt das Gebäude über das Nachbarhaus, in dem bislang das Berlin-Museum untergebracht war.
Von dort aus führt eine Treppe nach unten in den Neubau, wo einem dann zunächst tatsächlich der Boden unter den Füßen schwankt: Das Untergeschoß beschreibt eine schiefe Ebene, die immerhin insgesamt ein ganzes Stockwerk überwindet. Doch daran hat man sich bald gewöhnt, und auch die vielen Raumecken, Zwickel und spitzen Winkel, die einen immer wieder überraschen, können gut genutzt werden. Zum Beispiel, wie am Eröffnungssamstag, für Diaprojektionen, die den Verfremdungseffekt vertragen.
Die Materialien, die Libeskind verwendet hat, sind das konventionellste an diesem Bau. Im Untergeschoß liegt Schiefer am Boden, die Wände sind entweder aus naturbelassenem oder geweißtem, glattem Sichtbeton. Die beiden oberen Stockwerke zeigen hellgrauen Terrazzo als Bodenbelag und ebenfalls Beton, Beton, Beton. Ein Rätsel stellt – zumindest in der Eingewöhnungsphase – der Grundriß dar: Innerhalb kürzester Zeit hat man sich verlaufen, Orientierung finden die BesucherInnen am leichtesten durch einen Blick aus den zahlreichen, schmalen Fenstern, die sich über die Außenwände verteilen, als hätte jemand Bauklötze oder Mikadostäbe geworfen und in ihrer zufälligen Konstellation im Moment der Landung in Glas und Stein gegossen.
Das wesentlich größere Rätsel freilich sind die Hunderte von sich kreuzenden Linien, die sich durch das ganze Haus ziehen, sei es an den Decken als flache Kanäle für Beleuchtungskörper, sei es in Form von Schlitzen, Ritzen und Fensterbändern. Sie möchten, so sagt ihr Schöpfer, auf andere, geschichtlich wichtige Orte in Berlin und anderswo verweisen. Nachzuvollziehen ist dies nicht und soll es wohl auch nicht sein: Die behauptete, nicht die tatsächliche Relevanz ist da das Entscheidende.
Die BesucherInnen, die am Samstag abend das erste Mal Gelegenheit bekamen, den lange heiß diskutierten Bau kennenzulernen, scheinen sich nicht daran zu stören. Über 8.000 Interessierte werden sich im Lauf der sechs Stunden bis Mitternacht durch das Jüdische Museum geschoben haben, sie stauen sich auf der alle Stockwerke verbindenden Haupttreppe, die an Berninis Prachttreppe im Papstpalast im Vatikan erinnert oder an die Aufgänge in der Münchner Alten Pinakothek – und sie staunen stumm, reden leise, betasten Boden und Wände. Sie streifen durch die fließend ineinander übergehenden Ausstellungsräume, durch den an Fritz Lang gemahnenden Holocaust-Turm und den Void, kurz: Sie nehmen das weltbekannte Haus in Besitz, machen es sich ohne Umschweife zu eigen. Etwas Besseres hätte dem Libeskind-Bau nicht passieren können, als dieses vorsichtige, aber entschiedene Interesse.
Man wird sehen, wie die Ausstellungsmacher mit dem Haus umgehen, wie sie verhindern, daß die überall präsente Schoah die historischen Darstellungen zu sehr dominiert und nivelliert, wie sie die Schwierigkeiten beim Aufbau einer eigenen Sammlung meistern. Die Chancen sind gut, daß das Werk gelingt – nach dieser Ouvertüre.
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