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KommentarGewerkschaftliche Minderheitenpolitik

■ IG Metall warnstreikt für 6,5 Prozent mehr Lohn

Die Forderung der Industriegewerkschaft Metall nach 6,5 Prozent mehr Lohn ist richtig – und falsch zugleich. Sie erscheint als gerecht, denn die Gewinne der Unternehmer stiegen während der Kohl-Ära stark an, ohne daß die Beschäftigten entsprechend daran beteiligt worden wären. Doch die IG Metall täte gut daran, das allgemeine Befremden ernst zu nehmen, mit dem auch traditionell arbeitnehmerfreundlich eingestellte Schichten der Gesellschaft die Forderung für die Tarifrunde 1999 quittieren.

Die Verwunderung rührt daher, daß die Gewerkschaft fast nahtlos an alte Zeiten anknüpft, in denen Tarifkonflikte vornehmlich um die Verteilung des im Unternehmen erwirtschafteten Reichtums geführt wurden. Ob die Metallfunktionäre wollen oder nicht: In der Epoche der Bescheidenheit während der 90er Jahre rückte die Steigerung der Löhne in den Hintergrund, und die Gewerkschaften übernahmen ihren Teil der Verantwortung für die Verringerung der Arbeitslosigkeit. Dieses Konzept ging zwar nicht auf, denn im sicheren Gefühl politischer Rückendeckung verwendeten die transnational tätigen Konzerne das eingesparte Geld, um die Aktionärsrendite anzuheben. Trotzdem kann die IG Metall heute nicht mehr hinter den einmal erreichten Diskussionsstand zurück, ohne massiv gesellschaftliche Unterstützung einzubüßen.

Wer warnstreikt denn jetzt? Metallarbeiter, von denen nicht wenige 60.000 oder 70.000 Mark brutto verdienen. Nichts gegen einen guten Lohn als Gegenleistung für hochqualifizierte Arbeit an Nobelkarossen – doch brauchen sie 3.000 Mark mehr pro Jahr? Das zum zentralen Punkt des politischen Streits zu machen, ist blanker Anachronismus.

Ökonomisch sinnvoll erscheint durchaus, daß die Leute mehr Geld bekommen, um Nachfrage und Konjunktur anzukurbeln. Dafür allerdings würden der Ausgleich der Inflationsrate und Beteiligung der Beschäftigten am Produktivitätszuwachs, also etwa vier Prozent Lohnaufschlag, reichen. Die von der IG Metall eingeklagte „Umverteilungskomponente“ dagegen sollte mindestens zum Teil in neue Arbeitsplätze umgesetzt werden. Dieser Aspekt fehlt in der Tarifauseinandersetzung ebenso wie die Differenzierung des Lohnzuwachses entsprechend der Gehaltshöhe. Was bleibt, ist gewerkschaftliche Minderheitenpolitik auf dem Rücken der Mehrheit. Hannes Koch

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