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Schwerer Abschied vom Präsidentensessel

■ FU-Chef Johann W. Gerlach erklärt ein Jahr nach seinem schweren Autounfall offiziell den erwarteten Amtsverzicht. Vize Gaehtgens und Politikprofessorin Schwan wollen ihm nachfolgen

Es begann wie eine Routinesitzung des Akademischen Senats. Bibliothekskommission, Zulassungsordnung, Hochschulbau- Rahmenplan – lauter unspektakuläre Punkte standen im Henry- Ford-Bau der Freien Universität (FU) auf der Tagesordnung. Mitglieder des Gremiums verlangten vom Präsidialamt Antworten auf Anfragen, die sie schon im Herbst gestellt hatten. Vizepräsident Peter Gaehtgens bat genervt, seine Verwaltung nicht ständig mit derlei Banalitäten zu behelligen.

Doch während die Senatoren noch ihre Eitelkeiten pflegten, nahm fast unbemerkt ein Herr mit Hut und dunklem Anzug auf den Zuschauerbänken Platz. Ruhig wartete er das Ende der Fragestunde ab. Dann kündigte Gaehtgens an, FU-Präsident Johann W. Gerlach wolle ein paar Worte an das Gremium richten. Gerlach erhob sich vom Zuschauerplatz – und wußte nicht recht, von wo er sprechen sollte. Schließlich nahm sein Vize Gaehtgens den gewohnten Platz ein, an dem Gerlach bis zu seinem schweren Autounfall am 3. Februar vergangenen Jahres fast sieben Jahre lang gesessen hatte. Nach einer kurzen Verlegenheit stand Gaehtgens auf und bot dem Präsidenten seinen Sessel an: „Das ist doch ein schöner Platz hier.“

Daß er auf den Tag genau ein Jahr nach dem Unfall noch einmal im Akademischen Senat auftrete, sei keine „Inszenierung“, sagte Gerlach mit schwacher Stimme. Vielmehr habe er sich im Herbst noch Hoffnungen gemacht, wieder in sein Amt zurückkehren zu können. Es habe sich jedoch herausgestellt, daß „in absehbarer Zeit mit der Herstellung meiner Leistungskraft nicht zu rechnen ist“. Deshalb werde er zum 31. März aus dem Amt ausscheiden. Da seine Amtszeit ohnehin am 21. Juni abgelaufen wäre, ergebe sich jedoch „keine Veränderung im normalen Programmablauf der Neuwahl“, die planmäßig im Sommersemester stattfinden werde. Es entstehe also „keinerlei Irritation, außer daß es mich dann nicht mehr gibt“.

Von den Anwesenden wußte niemand so recht, was er sagen sollte. Schließlich griff Gaehtgens den Wunsch Gerlachs nach einer offiziellen Verabschiedung auf. Es werde gewiß eine Gelegenheit geben, dem scheidenden Präsidenten zu sagen, „was wir ihm zu verdanken haben“. Einzig der Psychologe Wolfgang Schönpflug gab Gerlach gestern schon auf den Weg, der Zustand der Universität habe sich in Gerlachs Amtszeit „entscheidend gebessert“.

Am Ende der Sitzung gab Vizepräsident Gaehtgens seine Kandidatur für das Präsidentenamt offiziell bekannt. Die Politikprofessorin Gesine Schwan hatte ihre Ambitionen bereits vor zwei Monaten bekanntgegeben. Wer von beiden im Erweiterten Akademischen Senat eine Mehrheit erringen kann, gilt noch als ungewiß. Ralph Bollmann

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