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Schweineprotest und kein Ende

Ohne konkrete Zusagen von seiten der Regierung wollen Polens Bauern diesmal ihre Demonstrationen nicht abbrechen. Doch der Spielraum der Politiker ist gering  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Vor der Metzgerei in der Dobrastraße im Zentrum Warschaus bleiben immer wieder Passanten stehen und werfen einen eindringlichen Blick auf den dort ausgestellten Schweinskopf. Denn „Schwein“ ist in Polen zur Zeit in. Schweinepreise, Schweinefutter, ja sogar Schweinepisse – seit einer Woche kennt die Nation nur noch ein Thema. Das Schwein hat die Titelseiten der Zeitungen erobert, grunzt aus dem Radio, glotzt verwundert aus dem Fernseher und friert sich auf den Straßenblockaden der Bauern die Hacken ab.

Der Shootingstar der letzten Tage heißt „Jerzy“ und ist ein rosarotes Prachtschwein. Dagegen sieht Ministerpräsident Jerzy Buzek immer blasser aus. Die Verhandlungen mit den Bauerngewerkschaften, so auch am Dienstag abend, scheitern immer wieder an Maximalforderungen – die Bauern wollen Straffreiheit für die Straßenblockaden zugesichert bekommen, die Regierung fordert Blockadeabbau als Bedingung für die Aufnahme von Gesprächen. Nun will die Kirche vermitteln.

Doch die Bauern trauen den Priestern nicht über den Weg. Primas Glemp, Oberhaupt der katholischen Kirche in Polen, hat den Schweineprotest als „unchristlich“ gebrandmarkt und die Bauern aufgefordert, auf ihre Höfe zurückzukehren.

Die aber wollen konkrete Zusagen. Entweder subventioniert der Staat die Schweinepreise und schützt die Bauern künftig vor Billigimporten aus der EU, oder es wird einen Bauernaufstand geben. Das jedenfalls hat Andrzej Lepper, der Führer der radikalen Bauernorganisation „Samoobrona“ (Selbstverteidigung), angekündigt. Diesmal wollen sich die Bauern nicht mit einem „Sofortprogramm“ begnügen, das ihnen zwar die nächsten sechs Monate über die Runden hilft, an der Misere auf dem Land aber nichts ändert. Sie wollen langfristige Zusagen, die ihnen ihr Einkommen sichern. So schnell aber wird die Regierung kein Reformprogramm aus dem Boden stampfen können, und eine Rückkehr zum alten System mit geregelten Abnahmemengen und Preisen durch den Staat wird es nicht geben. Möglich wäre aber trotz der leeren Kassen eine an der EU-Praxis orientierte Subventionierung.

Auf der E 62, rund 30 Kilometer vor Warschau, trotzen rund 50 Bauern in schwarzen Lederjacken und mit tief ins Gesicht gezogenen Mützen der eisigen Kälte. Im Gänsemarsch ziehen sie auf der Fahrbahn einen sinnlos erscheinenden Endloskreis. An ein Durchkommen ist nicht zu denken. Die Polizei hat am Ortsausgang von Czerwinsk eine Umleitung organisiert. „Hier ist alles ruhig“, sagt Unterinspektor Zalkiewicz. „Wir setzen keine Gewalt ein, die Bauern auch nicht, und die Autofahrer, die nach Warschau wollen, müssen eben einen Umweg von zehn Kilometern fahren.“

„Eine Stunde, dann bin ich wieder weg“, erklärt Janusz Potok, ein gutgekleideter Landwirt in den Fünfzigern. Er gehört zu den reicheren Bauern in der Gegend. Doch der Verfall des Schweinepreises auf dem Weltmarkt trifft ihn besonders hart: „Ich habe 100 Schweine im Stall. Für 1,80 Zloty (ca. 85 Pfennig) pro Kilo kann ich nicht verkaufen. Das liegt unter den Produktionskosten. Auch die von der Regierung angebotenen 2,80 Zloty sind noch zu niedrig. Ab 3,40 Zloty wird es interessant.“ Er ist froh, daß er noch Erdbeeren, Himbeeren und Blumenkohl angebaut hat. Sonst wüßte er nicht, wie er den Kredit zurückzahlen sollte, den er im letzten Jahr aufgenommen hat.

Seit der Wende von 1989 haben die Bauern in Polen immer wieder auf ihre schlechte Lage aufmerksam gemacht. Doch keine der Regierungen wagte sich an die Landreform heran. In die alten Strukturen zu investieren war sinnlos, und so wurden die Bauern bei jedem Protest mit einer kurzfristigen Hilfsaktion ruhiggestellt.

Heute scheint die Situation auf dem Land hoffnungslos. Während in den Städten der Lebensstandard steigt, fahren die Bauern noch mit dem Panjewagen über Land. Der Staat pumpt jährlich 40 Prozent der Einkommensteuer aufs Land – als Invalidenrente, weil die Menschen ärztlich kaum versorgt werden, als Arbeitslosenhilfe, weil es weder Berufsschulen noch Gymnasien gibt, als Frührente, weil nur mit diesem Zubrot die Großfamilien überleben können. Für die Modernisierung des Landes bleibt kaum etwas übrig. Die Bauern sind verzweifelt, ihre Situation wird immer auswegloser. Statt am Wohlstand teilzuhaben, rutschen sie immer tiefer in die Armut.

„Meine Kinder wohnen schon nicht mehr hier“, erzählt Stanislaw Kolecki aus dem Nachbardorf Chociszewo. „Wo sollen sie auch arbeiten? Im Dorf bleiben nur die Alten.“ Früher sei alles anders gewesen. „Unter den Kommunisten ging es uns am besten. Da hat der Staat alles gekauft und die Preise geregelt. Am Ende war die Wurst im Laden billiger als das Fleisch, das wir verkauft haben. Da ging es uns gut.“ Sein Nachbar Eugeniusz Zentkowski fällt ihm ins Wort: „Die Land-Solidarność tut gar nichts. Unter den Kommunisten gab es immer Versammlungen, und da haben sie uns gesagt, was wir tun sollten. Ob das immer richtig war? Aber wir wußten immer, was zu tun war. Jetzt sagen sie uns, wir sollen uns selbst versammeln. Sollen wir uns auch selbst beraten, was wir tun sollen? Das weiß keiner von uns.“

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