: Radikale Abtreibungsgegner in den USA verurteilt
■ Die Betreiber einer Internetseite, auf der Dossiers über Abtreibungsärzte verbreitet werden, sollen wegen Aufrufs zur Gewalt 107 Millionen Dollar zahlen. Die Website gibt es weiter
Washington (taz) – Ein Bundesgericht hat gestern in Portland im US-Bundesstaat Oregon die Betreiber einer Internetseite gegen Abtreibung verurteilt, 107 Millionen Dollar an eine Familienplanungsorganisation sowie an eine Gruppe von Ärzten zu zahlen, die auf ihren Schutz vor Morddrohungen geklagt hatten.
Unter dem Titel „The Nuremberg Files“ unterhält eine Gruppe von Abtreibungsgegnern eine Internetseite, auf der unter blutigen Föten ein „Link“ zu den Namen, Adressen, Autokennzeichen sowie den Familienangehörigen von Frauenärzten führt, die Abtreibungen durchführen. In Grau erscheinen die Namen von Ärzten, die durch Anschläge verletzt wurden, durchgestrichen sind solche Namen wie Barnett Slepian, der am 23.Oktober letzten Jahres in Buffalo im Bundesstaat New York erschossen wurde. Der Mörder wird noch gesucht.
Sieben Menschen sind in den letzten Jahren gewalttätigen Abtreibungsgegnern zum Opfer gefallen, auf 250 Kliniken wurden Brand- und Bombenanschläge verübt. Auf Nürnberg berufen sich die Abtreibungsgegner, weil sie hoffen, daß dereinst ein internationaler Gerichtshof Abtreibungsärzte sowie Gesetzgeber und Richter wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte belangen werde – unabhängig von der Rechtslage in den USA. In den USA ist die Abtreibung seit einem 1973 ergangenen Urteil des Obersten Bundesgerichts legal.
Das Gericht in Portland bemühte ein bisher wenig in Anspruch genommenes Gesetz aus dem Jahre 1994, das Abtreibungsärzte vor Gewalt und Gewaltandrohung schützt. Das Urteil wurde mit Spannung erwartet, weil es die Grenzen zwischen Meinungsfreiheit und dem Aufruf zu Mord definieren mußte. Die 14 Einzelpersonen und Organisationen, die zum Betrieb der Internetseite die Koalition der „Aktivisten des Lebens“ gebildet haben, beriefen sich auf die Meinungsfreiheit und argumentierten, sie riefen gar nicht zu Gewalt auf, sondern stellten nur Informationen zusammen, die allgemein zugänglich sind.
Einer der Beklagten, der Herausgeber der Zeitschrift „Anwälte des Lebens“, gestand allerdings unter Kreuzverhör, daß Ärzte Grund haben könnten, sich vor den Auswirkungen der Internetseite zu fürchten. Mehrere Ärzte bezeugten, daß sie Alpträume haben, sich nur noch mit kugelsicheren Westen bewegen und täglich ihren Weg zur Klinik ändern.
Über die Schließung der Internetseite muß ein gesondertes Urteil ergehen. Gestern war sie noch frei zugänglich. Die Unterlegenen haben angekündigt, in die Berufung zu gehen. Peter Tautfest
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