: Geschichtsaufarbeitung: Todesschüsse gegen DDR-Grenzer heute vor Gericht
Seit Anfang Dezember findet vor dem Landgericht Berlin der Prozeß gegen den 68jährigen Rudolf M. wegen der Todesschüsse auf den DDR-Grenzer Reinhold Huhn statt. Rudolf M. wird vorgeworfen, am 18. Juni 1962 bei einer Fluchthilfeaktion hinter der Berliner Mauer den damals 20jährigen Huhn kaltblütig ermordet zu haben.
Rudolf M. hatte die DDR unmittelbar vor dem Mauerbau verlassen. Um seine dort zurückgelassene Familie nachzuholen, grub er mit Hilfe von Verlagsangestellten einen Tunnel vom Gelände des Axel-Springer-Verlages unter der Mauer hindurch in den Keller des ersten Hauses auf Ost-Berliner Seite. Als am verabredeten Treffpunkt der Grenzsoldat M.s Ausweis kontrollieren wollte, schoß M. nach Zeugenaussagen sofort auf Huhn und gab einen zweiten, tödlichen Schuß auf den bereits am Boden Liegenden ab. Danach konnte die Familie durch den Tunnel fliehen. Der Chefredakteur der Bild-Zeitung empfing sie mit Whiskey in seinem Büro. Huhn erhielt ein Staatsbegräbnis in der DDR.
Bereits im selben Jahr wurden die Ermittlungen in West- Berlin mit der Begründung eingestellt, M. sei unbewaffnet gewesen und Huhn sei versehentlich von seinen Kollegen erschossen worden. Französische und britische Besatzungsbehörden bezweifelten dies allerdings.
Erst nach 1990, im Zuge der Ermittlungen gegen die Grenzerschüsse auf DDR-Flüchtlinge, kam man auch um die DDR-Akten dieses Verfahrens nicht mehr herum. In der Leiche Huhns waren zwei Projektile westdeutscher Produktion gefunden worden. Rudolf M. wurde wegen Mordes verhaftet, aber schon wenige Wochen später gegen 100.000 Mark Kaution freigelassen.
Er sagte aus, daß der Westberliner Staatsschutz ihm die Waffe weggenommen und ihn auf die falsche Version eingeschworen habe. Drei Tage nach den Schüssen sei er von einem amerikanischen Geheimdienstler aus der Stadt gebracht worden.
Am letzten Prozeßtag gab das Gericht den Hinweis, daß Rudolf M. auch wegen Totschlags verurteilt werden könne. Totschlag verjährt nach zwanzig Jahren, Mord nie. Die Mauerschützen der DDR können allerdings auch heute noch wegen Totschlags verurteilt werden. Ihre Verjährungsfrist beginnt mit dem Tag der Wiedervereinigung, dem 3. Oktober 1990, da vorher keine objektiven Ermittlungen möglich waren. Der Prozeß wird heute fortgesetzt. ber
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