: Aus den Moscheen in die Schule
■ Der Leiter des Zentrums für Türkeistudien fordert einen flächendeckenden religionskundlichen Islamunterricht
Berlin (taz) – Neben der doppelten Staatsbürgerschaft ist derzeit für Muslime das wichtigste Thema der islamische Religionsunterricht, so Faruk Șen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen. Das Recht auf Religionsunterricht ist zwar in den meisten deutschen Bundesländern in der Verfassung festgeschrieben, doch für muslimische SchülerInnen – immerhin sind es rund eine halbe Million – gibt es nur in wenigen Bundesländern wenig attraktive Angebote. Deshalb sei es dringend nötig, eine einheitlichere Regelung zu schaffen, sagte Șen gestern in Berlin.
Șen plädiert für einen flächendeckenden nicht bekennenden islamischen religionskundlichen Unterricht. Statt zu beten soll über den Koran und seine verschiedenen Glaubensrichtungen aufgeklärt werden. „Wir müssen den Religionsunterricht aus den dunklen Moscheen herausholen und in die Klassenzimmer tragen“, sagte er. Man könne den Unterricht nicht einigen „dubiosen Organisationen“ überlassen.
75 Prozent der muslimischen SchülerInnen sind türkischer Herkunft. Șen geht davon aus, daß ein Großteil der Eltern Interesse an Religionskunde hätte, allerdings an einem aufgeklärten Unterricht mit modernen pädagogischen Mitteln. „Von Fundamentalisten getragenen Unterricht wollen die meisten nicht“, sagte er. Șen warnte davor, den Einfluß konservativer Gruppen zu überschätzen. So habe Milli Görüș nur 26.500 Mitglieder in Deutschland.
Derzeit hat lediglich das katholische Bayern Islamunterricht zum Regelfach gemacht. Dort steht für türkische Kinder „religiöse Unterweisung“ auf dem Stundenplan. Die LehrerInnen kommen aus der Türkei, auch der Stundenplan wird in Ankara erstellt. In Hamburg hat ein Turkologe islamische Schulbücher in deutscher Sprache geschrieben. In einigen Schulen wird damit islamische Religionskunde als Ergänzungsunterricht angeboten. In Nordrhein-Westfalen wurde schon vor zwölf Jahren ein eigenes Curriculum für den Islamunterricht erarbeitet.
In Berlin kann zukünftig die konservative Islamische Föderation Islamunterricht anbieten. Die Organisation soll Milli Görüș nahestehen. Die Islamische Föderation hatte den Unterricht vor dem Oberverwaltungsgericht erstritten und wurde dort als Religionsgemeinschaft anerkannt. Damit besteht in Deutschland jetzt zum ersten Mal die Möglichkeit, den Islam in bekennender Form an staatlichen Schulen zu unterrichten. In Berlin gibt es genauso wie in Bremen eine besondere Gesetzeslage: Hier ist der Religionsunterricht kein ordentliches Lehrfach. Statt dessen erteilen Kirchen und Weltanschauungsgesellschaften den Unterricht, der Staat bezahlt die LehrerInnen und stellt die Räume zur Verfügung.
Șen fordert für eine zukünftige flächendeckende Struktur ein „magisches Dreieck“. Die Unterrichtsplanung sollten jeweils sieben Vertreter der einzelnen Bundesländer, der Entsenderländer und der Migrantenorganisationen übernehmen. Dem Leiter des Zentrums für Türkeistudien ist es wichtig, daß nicht nur Türken daran teilnehmen, sondern beispielsweise auch bosnische oder iranische muslimische Gruppen.
Der Unterricht soll nach Șens Vorstellung Wahlpflichtfach werden – in deutscher Sprache von staatlich bezahlten deutschen LehrerInnen. Er fordert deshalb auch einen Studiengang Islamwissenschaften für LehrerInnen. Bisher gibt es lediglich Lehrerfortbildungen. Șen hat bereits mit einigen Ländervertretungen Gespräche geführt. nau
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