„Da lacht sich jeder kaputt“

■ Der deutsche Fußballweltmeister Guido Buchwald über „zuviel Bürokratie“ beim DFB, die Verweigerung des Abschiedsspiels für Klinsmann, seinen Wunsch nach Taktikschulungen und nach Vertrauen in junge Profis wie Jens Nowotny und Jens Jeremies – auch auf Kosten von Lothar Matthäus

taz: Herr Buchwald, was ist das für ein Gefühl, wenn man weiß: Noch 15 Spieltage, und dann ist Schluß mit Fußballspielen?

Guido Buchwald: Daran denke ich gar nicht. Ich habe momentan nur ein Ziel, und das heißt Aufstieg mit dem KSC.

Hätten Sie gedacht, daß Ihre Karriere einmal in der zweiten Liga enden wird?

Nein, wirklich nicht.

Würden Sie nicht noch ein paar Spiele in der ersten Liga reizen?

Nein. Für mich war das Thema Profifußball eigentlich beendet, als ich aus Japan zurückkam. Ich habe ja auch schon zweimal ein Abschiedsspiel gemacht, mit der Nationalmannschaft und in Japan. Die Gedanken, daß es ab einem bestimmten Moment noch zehn oder fünf oder drei Spiele sind, habe ich mir damals gemacht. Für mich ist die Sache mit dem Karlsruher SC eine Art Zusatz, ein Anhängsel. Ich habe viel erreicht in meiner Karriere – und jetzt endet sie eben in der zweiten Liga. Bei den Stuttgarter Kickers habe ich da ja auch angefangen. Der Kreis schließt sich also.

Sie hatten ein Abschiedsspiel vom DFB. Können Sie die Befindlichkeit ihres Kollegen Jürgen Klinsmann nachvollziehen?

Ein Abschiedsspiel dürfte bei einem Spieler wie Jürgen, der Welt- und Europameister ist und über 100 Länderspiele hat, überhaupt keine Frage sein. Dem gehört doch ein ehrenvoller Abschied. Da lacht sich wahrscheinlich jedes andere Land schief und kaputt und sagt: Schaut mal, wie die Deutschen mit ihren Stars umgehen. Die Sache ging ja durch die ganze europäische Presse. Das hat mal wieder so einen richtig negativen Touch gegen die Deutschen gegeben.

Ist die Aktion symptomatisch für den Zustand des deutschen Verbandsfußballs?

Irgendwo schon. Ich weiß wirklich nicht, was sich die verantwortlichen Personen bei der Sache denken.

Wo krankt es?

Man darf jetzt nicht alles so negativ sehen, wie es viele tun. Aber vielleicht krankt es gerade daran: Daß viel zuviel rumdiskutiert wird. Und daß nicht akzeptiert wird, daß man mal Jahrgänge hat, bei denen man nicht ganz zur Spitze gehört. Unser Jugendsystem hat sich doch über Jahrzehnte hinweg bewährt. Wenn wir wirklich alles falsch gemacht hätten, wären wir doch nicht über 50 Jahre hinweg Weltspitze.

Gewesen, Herr Buchwald, gewesen. Irgend etwas muß passiert sein zwischen WM-Sieg 1990 und Ausscheiden in Frankreich.

Ach, das hat man doch immer wieder beobachten können: 1954 war Deutschland Weltmeister, vier Jahre darauf sind sie auch im Halbfinale ausgeschieden. Oder was war 1978? Die Schmach von Córdoba. Man darf auch nicht vergessen, gegen wen und wie die deutsche Mannschaft in Frankreich ausgeschieden ist. Kroatien hat hervorragende Fußballer – und hat eindeutig von dem Platzverweis gegen Christian Wörns profitiert.

Die Argumentation kommt einem bekannt vor.

Mag sein. Aber da hat einfach das vielzitierte deutsche Glück gefehlt. 1986 beispielsweise hatten es die Deutschen. Da haben sie sich mit teilweise sehr bescheidenen Leistungen regelrecht ins Finale durchgewürgt. 1982 war es nicht viel besser.

Was wollen Sie damit sagen?

Der deutsche Fußball war damals auch nicht besser, als er es jetzt ist. Und trotzdem sind wir 1990 wieder Weltmeister geworden. Übrigens: Auch die Brasilianer haben zwischenzeitlich ein Tief gehabt, gerade 86 und 90; trotz der Straßenfußballer, für die sie so gerühmt werden und die es in Brasilien schon immer gab. Auch das wirft man dem deutschen Fußball ja vor: daß es keine Straßenfußballer mehr gibt. Und im gleichen Atemzug heißt es dann, daß wir uns im taktischen Bereich verbessern müssen.

Sind Sie anderer Meinung?

Das ist doch ein absoluter Widerspruch: Straßenfußballer machen im taktischen Bereich doch gar nichts. Die kicken ihren Fußball, die tricksen rum.

Ist gute Ballbeherrschung nicht Voraussetzung, um taktischen Vorgaben perfekt zu erfüllen?

Nein, das sehe ich nicht so. Taktik und Technik sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Taktik ist nur ein Hilfsmittel. Ich bin davon überzeugt, daß man auch heute noch mit Libero genausogut Weltmeister werden kann wie mit Dreier- oder Viererkette. Wenn jeder Spieler weiß, was er zu tun hat – und wenn er zweikampfstark ist.

Fakt ist, daß alle WM-Halbfinalisten in Frankreich ohne Libero und mit Kette gespielt haben. Wollen Sie behaupten, das sei ein Zufall?

Die Engländer spielen schon seit über 30 Jahren mit Viererkette, das letzte Mal Weltmeister aber waren sie 1966. Ich will ja nicht gegen die Viererkette sprechen, das ist bestimmt eine gute Sache. In Japan haben wir das auch gespielt. Es macht einen unheimlichen Spaß, wenn man den Gegner drei-, viermal hintereinander ins Abseits laufen läßt, nur mit Hilfe dieses taktischen Hilfsmittels. Aber eine Mannschaft wird nicht automatisch besser, nur weil sie mit Viererkette agiert.

Sie kann immerhin die Formel des modernen Fußballs einlösen: Verschieben und dadurch Überzahl in Ballnähe.

Mag sein, aber das macht doch jede gute Mannschaft schon seit 20 Jahren. Ich weiß nicht, warum das gerade jetzt so ein Modebegriff geworden ist. Ein guter Fußballer macht all diese Dinge automatisch. Das ist doch das Normalste auf der Welt: Wenn von der eigenen Hälfte links ein Angriff abgeht, rückt der rechte Verteidiger nach innen und macht die Mitte zu. Das hat schon Fritz Walter 1954 getan.

Walter spielt aber nicht mehr. Und das System, das die Holländer oder die Brasilianer bei der WM gespielt haben, schien dem deutschen haushoch überlegen.

Richtig. Es kommt aber auch immer darauf an, was man daraus macht. Wenn man sieht, wie die Holländer beim letzten Länderspiel gegen Deutschland gespielt haben, das war schon einmalig. Aber man braucht dafür eben auch die richtigen Fußballer.

Und muß die taktisch schulen, so wie es beispielsweise in der Fußballschule von Ajax getan wird.

Diese Grundschulung kriegt man auch überall in den Bundesligavereinen. Auch beim KSC oder dem VfB Stuttgart werden solche Dinge schon seit Jahren in der Jugend praktiziert ...

...weshalb der VfB im Sommer Ralf Rangnick aus Ulm zurückholt, um den Profis das System beizubringen, das er schon vor Jahren mit der VfB-Jugend praktizierte.

Es ist ja auch ein gutes. Nur: Man kann jedes System auch übertreiben. Die Bayern spielen beispielsweise das urtypische System – mit Libero, mal vor, mal hinter der Abwehr. Das können sie mit Lothar Matthäus optimal machen. So, wie das auch Matthias Sammer bei der Euro 1996 optimal gemacht hat. Das ist jetzt gerade zweieinhalb Jahre her.

Herr Buchwald, in Florida wird ja im Moment taktisch gearbeitet. Erich Ribbeck will dem Team seine Vorstellung vom Libero erklären.

Der Bundestrainer bekommt die Nationalspieler im Moment mal eine Woche vor einem Länderspiel, mehr nicht. Wie soll da eine große Erneuerung stattfinden?

Jupp Heynckes schlägt vor, die Nationalspieler sollten sich alle vier bis sechs Wochen für zwei, drei Tage zusammenfinden, um die Viererkette einzuüben. Ribbeck nennt das „naiv“.

Ich glaube, daß genau das der richtige Ansatzpunkt ist. Es wäre doch gar kein Problem, die Nationalspieler nach einem Bundesligaspieltag für Sonntag, Montag, Dienstag einzuziehen. Regenerieren können sie schließlich auch beim DFB, den Rest der Zeit nutzt man dann für taktische Schulung. Ausgenommen müssen natürlich Wochen sein, in denen unter der Woche gespielt wird. So gibt es viele Dinge, die man besser machen kann – und auch besser machen muß. Ganz klar, wir müssen offener für Neuerungen werden und nicht mehr ganz so starr sein.

Woher kommt diese Starre?

Da gibt es im DFB vielleicht etwas zuviel Bürokratie, bevor mal eine Entscheidung getroffen wird.

Allzu groß können die Neuerungen zunächst eh nicht werden. Libero Matthäus soll das Team zur und bei der EM 2000 führen.

Ich würde dem Lothar sogar zutrauen, daß er in kürzester Zeit in der Viererkette spielen kann. Er kommt ja aus dem Mittelfeld. Andererseits bin ich der Meinung: Wenn man was Neues machen will oder muß, sollte man das mit Spielern machen, die noch eine lange Zukunft in der Nationalmannschaft haben.

An wen denken Sie?

An Jens Nowotny oder Jens Jeremies. Man hat ja auf dieser Position junge Spieler, die sehr gut sind. Denen muß man das Vertrauen schenken – und ihnen auch mal ein schlechteres Spiel zugestehen, ohne gleich wieder nach Matthäus zu rufen. Interview: Frank Ketterer