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Von Liebe und Haß im Entfernten

■ Sich von Brecht zu distanzieren, heißt nicht, sich von ihm zu trennen – Unbrechtisches bei den Brecht-Tagen im Literaturforum

Es ist genug gefeiert. Nachdem das Motto der großen Brecht-Jubiläumstage im vergangenen Jahr „Alles was Brecht ist“ gelautet hatte, könnte man die Brecht-Tage 1999 „Alles was unbrecht ist“ nennen.

Doch keine Angst. Es wird so schlimm nicht werden. Brecht wird auch in diesem Jahr nicht von seinem Sockel gestoßen werden. Die Veranstalter vom Literaturforum im Brecht-Haus, das die Lese- und Vortragsreihe zu Ehren ihres Namensgebers seit 1978 regelmäßig ausrichtet, beeilen sich zu versichern, daß die Reihe, auch wenn sie „Brechts Antipoden heißt“, nicht gegen Brecht gerichtet ist.

Im Gegenteil, erfährt man von den Veranstaltern, kann ja gerade besondere Ferne wieder von einer ganz innigen Art der Nähe zeugen. „Liebe und Haß haben oft dieselbe Wurzel.“ Na, mal sehen.

Zum Auftakt stellte der Verleger, Kafkabildersammler und Kafkaforscher Klaus Wagenbach die politische Haltung seines Forschungsgegenstandes als Gegenmodell des brechtischen Politverständnisses vor. „Furcht und Staunen“ machte er als Kafkas Haltung dem Weltgeschehen gegenüber aus. Das ist doch schon sehr antibrechtisch.

Die nächsten Veranstaltungsabende, die jeweils um 19 Uhr beginnen, sind nach Gattungen unterteilt. Heute abend wird die Lyrik im Mittelpunkt stehen: Es liest zunächst Durs Grünbein, dann werden die Literaturwissenschaftler Lothar Köhn über Kurt Tucholsky, Ursula Heukenkamp über Zbigniew Herbert und Theo Buck über Gottfried Benn sprechen. Die Vorträge seien kurz, heißt es, die Diskussionen danach könnten umso länger sein.

Am Dienstag stehen die Dramatiker im Mittelpunkt: George Tabori wird lesen, und es gibt Vorträge über Hauptmann, Artaud und Zuckmayer. Am Mittwoch geht es um die Prosa (Lesung von Katja Lange-Müller, Vorträge zu Canetti, Freud und Hans Sahl), am Donnerstag um Brechts Antipoden in der Ästhetik und Philosophie, wie etwa Siegfried Kracauer und die Vertreter des politischen Expressionismus.

Der Grad der Abgrenzung der verschiedenen Gegenbrechts wird ganz unterschiedlich sein, für die meisten gilt jedoch der Satz, den Hans Sahl wenige Jahre vor seinem Tode zu dem Thema schrieb: „Sich von dem Dichter Brecht zu distanzieren, heißt noch nicht, sich ganz von einem Autor zu trennen, dem es immerhin gelang, aus sich selbst eine Kultfigur zu machen, die richtungsgebend für eine ganze Literatur von Abtrünnigen werden sollte.“ Volker Weidermann

Brecht-Tage bis Donnerstag 11.2. 1999 im Literaturforum im Brecht- Haus, Chausseestraße 125, Mitte

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