piwik no script img

Hessen-Schock bedroht den Doppelpaß

■ Schritt für Schritt distanziert sich die SPD vom Herzstück des rot-grünen Reformwerks: Statt die doppelte Staatsbürgerschaft generell hinzunehmen, können sich manche in der Partei einen Kompromiß mit der Union vorstellen

Der Jet vom Typ „Challenger“ ist ein kleines Flugzeug. Über 15 bis 18 Sitzplätze verfügt die Maschine der Flugbereitschaft der Bundeswehr. Auf einem von ihnen sitzt der Bundeskanzler. Nach einem Tag bei den Trauerfeierlichkeiten für den jordanischen König Hussein in Amman befindet er sich auf dem Heimflug. Die Landung der „Challenger“ wird für Montag abend gegen 21 Uhr erwartet. „Mit Schnee- und Graupelschauern ist zu rechnen“, warnt der Flughafen Köln-Bonn. Doch die eigentlichen Turbulenzen erwarten Gerhard Schröder, wenn er aus dem Flugzeug steigt.

Nachdem Rot-Grün am Sonntag die Landtagswahl in Hessen verloren hat, droht am Montag ein Kernstück des Reformwerks der Bundesregierung aus den Fugen zu geraten: die erleichterte Einbürgerung von Ausländern. Es war schon ein eindrückliches Schauspiel, wie sich im Laufe des Tages ein neuer Ton in die Äußerungen führender SPDler schlich. Am Wahlabend noch hatten Fraktionsvorsitzender Peter Struck und Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner nichts wissen wollen von möglichen Änderungen am Gesetzentwurf ihres Innenministers Otto Schily. Dann, nach durchschlafener Nacht, ein erstes Indiz für einen Kurswechsel: Im ZDF- Morgenmagazin stellt Schreiner heraus, die SPD müsse verstärkt sozialdemokratische Themen in den Vordergrund stellen. Darunter fallen im Parteijargon arbeits- und sozialpolitische Maßnahmen wie das Bündnis für Arbeit eher als grüngefärbte Unternehmungen wie die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.

Den entscheidenden Ton schlug im Laufe des Vormittags ein anderes Kabinettsmitglied auf Auslandsreise an. SPD-Parteichef und Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine meldete sich von einem EU-Treffen in Brüssel mit der Einschätzung zu Wort, ausschlaggebend für die Wahlniederlage in Hessen sei die Diskussion um den Doppelpaß gewesen. „Daraus müssen wir jetzt die Konsequenzen ziehen.“ Ziel müsse jetzt eine Lösung sein, „die von allen getragen wird“. Aus Brüssel ließ Lafontaine die heimische Opposition wissen, seine Partei sei zu einem Kompromiß bereit – auch wenn der Minister das Angebot zwecks Wahrung des Gesichts in eine Mahnung an die CDU kleidete: „Ich plädiere dafür, jetzt zum sachlichen Dialog zurückzukehren.“

Wer orientiert sich wann an wem? Im Einzelfall ist das manchmal schwer ergründlich. Die von Brüssel aus gestreuten Zweifel des Parteivorsitzenden Lafontaine an der Reform in der geplanten Form stießen jedenfalls auf Echo. „Wir haben die Stimmung im Volk falsch eingeschätzt, insofern ist eine Korrektur erforderlich“, sagte der innenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten im Bundestag, Dieter Wiefelspütz, der taz. Die Bundesregierung könne keine Politik gegen das Volk machen. Grundsätzlich solle zwar die Einbürgerung erleichtert werden, meinte Wiefelspütz, „wir müssen aber Korrekturen bei der Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft überdenken“. Mit der Forderung näherte sich erstmals an diesem Montag ein Sozialdemokrat der Vorstellung der Union an. Die CDU war in den letzten Wochen nicht müde geworden zu betonen, sie trete für Erleichterungen bei der Einbürgerung ein und lehne lediglich den Doppelpaß ab. Auch Wiefelspütz erklärte: „Wir müssen zurückkehren zum Regelfall einer Staatsbürgerschaft.“

Noch ist allerdings keineswegs gesagt, daß die SPD in der Frage einknicken wird. So läßt etwa Otto Schilys Innenministerium erklären, man halte an dem bestehenden Gesetzentwurf fest, und der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler, sagte der taz: „Wir ändern ihn aufgrund des Wahlergebnisses auf gar keinen Fall.“ Halb kämpferisch, halb resignativ schiebt Stiegler nach: „Wir haben die Verhetzungsfähigkeit der Bevölkerung unterschätzt.“ Auch der in Hessen unterlegene Ministerpräsident Eichel warnte seine Partei: „Die SPD kann nicht mit Minderheitenthemen, die sich leicht emotionalisieren lassen, nach vorne gehen.“

Unverrückbar stehen im Augenblick offenbar nur die Bündnisgrünen zum einmal geschnürten Reformpaket. Doch ihr Beharren fällt leicht verzagt aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß es grundlegende Kurskorrekturen geben kann“, sagte Vorstandssprecherin Gunda Röstel am Montag. Langsam formieren sich die Truppen zur Verteidigung des Doppelpasses, als ob der Schock vom Sonntag ihnen noch die Glieder lähmte. In der Grünen-Fraktion „wird noch wie wild nach einem gemeinsamen Termin gesucht für die Großkopfeten“, sagt ein Mitarbeiter am frühen Nachmittag. Wie kann das Reformpaket in der Koalition jetzt offensiv verfochten werden? „Eine Linie ist da noch nicht gefunden worden.“ Die Initiative scheint vorerst beim großen Partner zu liegen, räumt auch der Mitarbeiter ein. „Ich bin gespannt, wer sich da aus der SPD noch zu Wort melden wird.“ Einer auf jeden Fall: der Mann aus dem Flugzeug. Patrik Schwarz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen