Abgekanzelt, aufgelaufen, Grüne an die Wand gespielt

■ SPD verabschiedet sich endgültig von der Koalitionsvereinbarung zum Doppelpaß. Die doppelte Staatsangehörigkeit soll nur befristet gelten. Grüne nehmen Schröder den vorschnellen Kurswechsel und die übereilte Festlegung übel: „Das Maß ist voll“

Bonn (taz) – Seit gestern steht fest: Die Bundesregierung wird die ursprünglichen Pläne zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts fallenlassen. Nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder sich für ein Optionsmodell ausgesprochen hatte, das anstelle einer dauerhaften lediglich eine zeitlich befristete Doppelstaatsangehörigkeit vorsieht, haben sich gestern weitere SPD- Politiker für eine parteiübergreifende Einigung eingesetzt. „Wir können nicht die Koalitionsvereinbarung zum Gesetz erklären“, sagte Innenminister Otto Schily (SPD). Bündnis 90/Die Grünen, vom Koalitionspartner reichlich düpiert, haben in der Frage noch zu keiner einheitlichen Linie gefunden.

Die Bonner Koalition ist durch die Entwicklung einer Belastungsprobe ausgesetzt. Die Äußerungen des Bundeskanzlers werden von den Grünen als vorschnell und als übereilte Festlegung kritisiert. „Das Maß ist voll“, erklärte die Vorstandssprecherin der Grünen, Antje Radcke.

Auf Wunsch der bündnisgrünen Fraktionsvorsitzenden Kerstin Müller wird Schröder jetzt die ursprünglich für den 3. März angesetzte Koalitionsrunde schon für den 23. Februar nach Bonn einladen. Zwischen den Partnern besteht Einigkeit darüber, daß die veränderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nach der Hessen-Wahl die Suche nach einer neuen Lösung erforderlich machen. Gestritten wird über den Weg. Kerstin Müller erklärte gegenüber der taz, sie halte ein Optionsmodell für keinen Kompromiß. Grundlage eines neuen Entwurfs müsse das Papier von Innenminister Otto Schily bleiben. Ähnlich äußerte sich der innenpolitische Sprecher Cem Özdemir.

Umstritten ist unter den Grünen, ob im Parlament ein Gesetzentwurf eingebracht werden soll, der auch im Bundesrat eine Mehrheit findet, oder ob ein Vermittlungsverfahren angestrebt werden soll. Verhandlungen mit der Union lehnen die Grünen unter Hinweis auf deren Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ab. Sie wollen statt dessen Gespräche mit den Ländern suchen. Die Stimmen der sozialliberalen Regierung in Rheinland-Pfalz und die des rot- roten Bündnisses in Mecklenburg-Vorpommern reichen zusammen mit den rot- grünen Koalitionen für eine Mehrheit im Bundesrat.

Die Opposition war zufrieden. Die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zeige Wirkung, erklärte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos. „Wenn SPD und Grüne einen Entwurf vorlegen, der sich dem Optionsmodell der Liberalen nähert, dann ist das eine hervorragende Verhandlungsgrundlage“, sagte FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle. Nach der Einschätzung von SPD- Fraktionschef Peter Struck ist bis März mit einem Gesetzentwurf zu rechnen. Die Reform solle Anfang Juli vom Bundestag verabschiedet werden und den Bundesrat in dessen letzter Sitzung vor der Sommerpause am 9. Juli passieren. Bettina Gaus

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