Das Portrait: Auf den Spuren des Mr. X
■ George F. Kennan
Man sollte meinen, ein 95. Geburtstag sei kein runder und aus diesem Grund der Jubilar kein sonderlich erwähnenswerter. Doch im Fall George F. Kennan greift die sogenannte Ausnahme von der Regel, und zwar aufgrund einer außergewöhnlich kämpferischen Vita.
Kennan wurde im US- Bundesstaat Milwaukee geboren. Seine Karriere begann 1933 als US-amerikanischer Botschafter in Moskau. 1947 veröffentlichte er unter dem Pseudonym „Mr. X“ einen Artikel in der Zeitschrift Foreign Affairs mit dem Titel „Die Ursprünge des sowjetischen Verhaltens“. Dieser Essay sollte die theoretische Basis für vier Jahrzehnte Kalten Krieg liefern. Kennan plädierte darin für eine Eindämmung des sowjetischen Einflusses auf der Welt. Er meinte politische Eindämmung, doch westliche Politiker forcierten die militärische.
Kennan zog seine Konsequenzen aus diesem folgenschweren „Mißverständnis“: Er wurde zum schärfsten Gegner der US-Außenpolitik. Kennan war zwar Eingeweihter in außenpolitischen Angelegenheiten, doch zugleich Außenseiter, dem Washingtoner Establishment ein Dorn im Auge.
US-Außenminister John Foster Dulles informierte den Spitzendiplomat schließlich 1953, daß seine Karriere im State Department nach 27 Jahren beendet sei. Kennans Widerstand gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik sei „negativ, nutzlos und unmoralisch“, hatte sich der Minister zuvor wiederholt beklagt.
1957 zog sich Kennan mit seiner Konzeption des „Disengagements“, des Auseinanderrückens der Blöcke, erneut den Zorn Konservativer beiderseits des Altlantiks zu. In den 60er Jahren erzürnte er die Gemüter in Bonn, als er vor Deutschlands gefährlichem Nationalismus warnte. Kennan zog sich an die Universität von Princeton zurück und widmete sich fortan der Wissenschaft. Er schrieb mehr als 20 Bücher, für zwei erhielt er den Pulitzer-Preis.
Vor zwei Jahren zog Kennan unter dem Buchtitel „At a Century's Ending“ noch einmal Bilanz. Mit Abscheu wehrt er sich dort dagegen, daß Ronald Reagan sich bei seinem ideologischen Feldzug gegen das „Reich des Bösen“ auf George F. Kennan berief. Fünfzig Jahre nach seinem Auftritt als „Mr X“ scheint es ihm noch immer ein dringendes Bedürfnis zu sein, die Dinge geradezurücken. Nathalie Sopacua
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen