: Blutspuren im Schnee
■ Schüsse im israelischen Generalkonsulat in Berlin: Was von Kurden als Besetzung geplant war, endete mit drei Toten und 16 Verletzten. Eine weitere Eskalation wird befürchtet.
Gegen 13.50 Uhr bogen sie um die Ecke – etwa 50 Kurden erreichten das israelische Generalkonsulat in Berlin. Nachdem sie zwei Wachleute abgedrängt hatten, stürmten sie die Treppen des zweistöckigen Gebäudes hinauf. In den Innenräumen sei es dann, so ein Berliner Polizeisprecher, „zu den Auseinandersetzungen gekommen“. Offenbar haben ein oder mehrere israelische Sicherheitsbeamte auf die Eindringlinge geschossen. Es sei Notwehr gewesen, so die israelische Regierung am Abend.
16 zum Teil schwer verletzte Personen wurden in Krankenhäuser gebracht. Zwei Kurden starben noch in dem Konsulat, einer wenig später im Krankenhaus. Einer der Verletzten schwebt in Lebensgefahr. Die Polizei räumte ihm nur geringe Überlebenschancen ein. Über die Identität der Opfer wollte der Polizeisprecher keine Angaben machen. Nach der Schießerei habe es eine kurzzeitige Geiselnahme gegeben.
Das israelische Generalkonsulat in Berin-Wilmersdorf glich gestern nachmittag einer Wagenburg. Mehrere Hundertschaften Polizei und Feuerwehr waren angerückt. Demonstrierende Kurden wurden in die Seitenstraßen abgedrängt. Im frischen Schnee waren noch die meterlangen Blutspuren zu sehen. Hubschrauber kreisten am Himmel. Was genau sich aber im Konsulat ereignet hat, war gestern noch weitgehend unklar.
Augenzeugen aus dem gegenüberliegenden Umweltbundesamt haben die Szene beobachtet. Christian Pech, technischer Angestellter des Amtes, war gerade auf dem Weg in die Mittagspause, als er die Kurden heranstürmen sah. „Sie haben sich dicke Äste geschnappt, die hier auf der Straße lagen, haben laut Parolen gerufen und die Wachleute abgedrängt“, erzählt er. Das viergeschossige Konsulatsgebäude in der Schinkelstraße ist massiv gesichert.
Pech beobachtete, wie eine Gruppe die Treppe zum Konsulat hochstürmte, einige der Kurden glaubte er schon aus dem Fenster des Konsulats schauen zu sehen. Wann die tödlichen Schüsse fielen, kann er nicht genau sagen. Ein anderer Augenzeuge berichtet von einer Salve von neun Schüssen, die im Gebäude gefallen seien. Danach seien noch einmal fünf Schüsse gefallen.
Vor dem Konsulat kam es danach zu heftigen Tumulten, so Christian Pech. „Es ging sehr hart her“, sagt Pech. „Die Kurden haben Polizisten getreten, und auch die Beamten haben hart zugepackt. Überall hat es verbrannt gerochen.“ Wenig später beobachtete Pech vom Bürofenster aus einen Mann, der etwa 100 Meter vor dem Konsulat entfernt im Schnee lag. Die Polizei habe ihm den Pullover hochgezogen. Pech vermutet, man habe versucht, ihn wiederzubeleben. Ob er nur verletzt oder tot war, konnte der Augenzeuge nicht erkennen.
„Es gab Verletzte innerhalb und außerhalb des Konsulats“, so Polizeisprecher Andreas Ohlmann. Wegen „Abstimmungsschwierigkeiten“ bei der Polizei wollte man zunächst keine näheren Angaben zu den Schützen machen. Wer geschossen habe, sei unklar. Genannt wurde lediglich eine Zahl von 25 bis 30 festgenommenen Demonstranten.
Auslöser für den Sturm auf das Konsulat war wohl das Gerücht, der israelische Geheimdienst Mossad habe mitgeholfen, den Chef der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, in Nairobi ausfindig zu machen und an die Türkei auszuliefern. Aus Protest hatten Kurden schon am Montag das griechische Konsulat in Berlin besetzt und verwüstet, waren aber schließlich nach acht Stunden ohne Gegenwehr abgezogen.
Kurdische Aktivisten erklärten, es sei eine mehrstündige Besetzung geplant gewesen. Sie seien ohne Waffen gekommen, mit etwa 200 bis 300 Leuten. Eine Delegation von 20 bis 30 Mann habe das Gebäude betreten und eine Diskussion führen wollen.
Die Polizei rechnete für den Abend mit weiteren Demonstrationen in Berlin. Bereits am Nachmittag setzten sich verschiedene Gruppen von Kurden vor Geschäfts- und Wohnhäuser am Kurfürstendamm.
Die Kurdische Gemeinde in Deutschland bezeichnete die Erschießung der drei Kurden als „Massaker“. Selbst bei gewaltbereiten Demonstranten stelle ein derartiges Vorgehen einen „terroristischen Akt“ dar, betonte der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Mehmet Tanriverdi. Die Schützen müßten zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt werden. Constanze von Bullion, Berlin
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