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■ intershopGeister in der Stadt

„Helle, ruhige Räume mit herrlichem Blick, zentrale Lage mit guten Verkehrsverbindungen, viel Grün, günstige Miete, etc.“

Nein, dies ist keine Anzeige für eine Traumwohnung, sondern eine sachliche Beschreibung abendländischer Friedhöfe aus asiatischer Sicht. Absoluter Luxus für das Jenseits – in Asien ein Ding der Unmöglichkeit.

Meinen größten Kulturschock erlebte ich vor sieben Jahren kurz nach meiner Ankunft in Berlin. Zuvor war ich noch nie in Europa gewesen. Mein lieber Freund, ein Ossi, zeigte mir sein ganz persönliches Berlin: Hinterhöfe im Prenzlauer Berg, voller ramponierter Fassaden mit uralter verwitterter Gewerbe-Beschriftung. Seltsamer Geschmack!

Dann standen wir vor einem schmiedeeisernen Tor. Dahinter ein breiter Kiesweg, beschattet von mächtigen Bäumen. Ein Park, dachte ich. Das stimmte aber nur fast. Mein Freund zog mich durch den Eingang und erklärte, er komme oft hierher. Dieser schöne Ort liege nur zwei Ecken entfernt von unserer künftigen gemeinsamen Wohnung. Dies sei sein Lieblingsfriedhof.

Um Buddhas Willen! Jetzt sah ich es: Ringsum nichts als Gräber. Mir brach der Schweiß aus. Ich mußte sofort weg – fürs erste raus, vor das Eisentor. Und zweitens möglichst schnell zurück nach Taiwan.

Mein Freund hatte zwar Theologie studiert, aber vom Verhältnis der Asiaten zu ihren Toten wußte er offensichtlich nichts. Buddhisten glauben an die Wiedergeburt der Verstorbenen. Wer aber keines natürlichen Todes gestorben ist, kann auch nicht wiedergeboren werden. Diese rastlosen Seelen versuchen, anderer Seelen habhaft zu werden, die dann an ihrer Stelle durch die Welten geistern müssen. In Asien versucht man also, den Gräbern möglichst auszuweichen. Ich bettelte meinen Freund, mir zuliebe seinen Friedhof aufzugeben. Er oder ich! Er wählte mich, aber ich glaube, sie trafen sich noch heimlich.

Inzwischen sind wir seit sechs Jahren verheiratet. Friedhofsbesichtigungen bleiben ein unentbehrlicher Teil seiner Urlaubsexkursionen. Ich gebe ihm dann frei, und dafür unterläßt er es, mich in diesem Punkt zur Gemeinsamkeit zu bekehren. Immerhin – die Nähe des Friedhofs macht mir keine Angst mehr – sofern ich ihn nicht selber betreten muß. Mei-Huey Chen

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