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Schiitenführer glaubt an Sturz Saddams

Der Vorsitzende des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ berichtet von blutigen Aufständen im Süden des Landes. Zuvor war ein hochrangiger Ajatollah in Nadschaf ermordet worden  ■ Aus Teheran Thomas Dreger

Glaubt man dem Vorsitzenden des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“, dann steht das Regime Saddam Husseins kurz vor dem Sturz. „Die Situation im Irak ist kurz vor einer großen Explosion“, erklärte Muhammad Baker al-Hakim, Chef der schiitischen Dachorganisation, gestern in Teheran. Grund sei die Ermordung des hochrangigen Ajatollah Muhammad Sadik as-Sadr und seiner beiden ältesten Söhne am vergangenen Freitag in der den Schiiten heiligen südirakischen Stadt Nadschaf. Weil die irakische Bevölkerung den Mord dem Regime zuschreibe, sei es vor allem im mehrheitlich von Schiiten bewohnten Süden Iraks, aber auch in den Schiitenvierteln Bagdads, zu blutigen Aufständen gekommen, die zum Teil gestern noch anhielten.

Die staatliche irakische Nachrichtenagentur INA bezeichnete die Berichte über Aufstände am Sonntag als „ohne Grundlage“. Nachrichtenagenturen und der US-Nachrichtensender CNN zitieren jedoch Augenzeugenberichte, die Hakims Darstellung in der Tendenz bestätigen.

Laut Schiitensprecher Hakim hielten die Unruhen gestern noch in den südirakischen Städten Basra, Nassirija und Kerbala an. In dem Bagdader Schiitenviertel Saddam-Stadt hätten Elitetruppen Saddam Husseins am Wochenende 25 Menschen getötet und 50 verletzt. Allein in Bagdad seien 250 Personen festgenommen worden, darunter 15 Geistliche. Nassirija sei unter schweren Artilleriebeschuß genommen worden. Auch in der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Stadt Samara sei es zu Unruhen gekommen.

Die irakische Führung macht Kriminelle für den Mord verantwortlich und behauptet, etliche Verdächtige seien inzwischen festgenommen worden. Für Hakim ist dagegen klar, daß das Regime selbst hinter dem Attentat steht.

Schiitische Araber bilden die größte Bevölkerungsgruppe Iraks. Das Regime wird dennoch von sunnitischen Arabern vor allem aus Saddam Husseins Clan der Takriti dominiert. Nach dem zweiten Golfkrieg im Frühjahr 1991 erhoben sich – von dem damaligen US-Präsidenten George Bush über Radio ermuntert – zuerst Schiiten gegen die Führung in Bagdad, dann folgten Kurden. Weil die erhoffte Hilfe der Golfkriegsalliierten ausblieb, wurden die Aufstände von Iraks Republikanischen Garden niedergeschlagen.

Ajatollah as-Sadr wäre nicht der erste schiitische Geistliche, den die irakische Führung auf dem Gewissen hat. Im vergangenen Jahr kamen mehrere Geistliche auf ungeklärte Weise ums Leben. Während der Aufstände im Frühjahr 1991 ließ Saddam Hussein den Großajatollah Choi – für viele Schiiten weltweit ihr Oberhaupt – aus Nadschaf verschleppen und ihn sichtlich lädiert im staatlichen Fernsehen präsentieren. Seit Choi 1996 in einem Krankenhaus in Bagdad starb, halten sich Gerüchte, der Geistliche sei vergiftet worden.

Laut Hakim hatte Ajatollah as- Sadr kein direkt politisches Programm, sondern nur ein religiöses. Dies habe jedoch genügt, um auf der Abschußliste des Regimes zu landen. Hakims „Oberster Rat für die Islamische Revolution“ ist die wahrscheinlich einflußreichste irakische Oppositionsgruppe. Eigentlich sollte sie einen Teil der von der US-Regierung im vergangenen Oktober im Rahmen des „Irak Befreiungsgesetzes“ bewilligten 97 Millionen US-Dollar bekommen. Hakim lehnt das – wohl auch mit Rücksicht auf seine iranischen Gastgeber – ab. „Eine solche Hilfe führt im Irak nicht zum richtigen Ziel“, erklärte er gestern. Die Weltgemeinschaft solle lieber dafür sorgen, daß die irakische Bevölkerung vor der Regierung in Bagdad geschützt werde.

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