Meine Straße: Geschenk der Spekulanten
■ Ein einstiger Bruderstaat klingt so ähnlich, also machen die schönen Russinnen um Bulgari einen Bogen. Aber Cartier klingt nach Paris
Meine Straße ist die Fasanenstraße, und ich freue mich immer noch jedesmal, wenn ich unter den alten Kastanienbäumen nach Hause gehe. Besonders dann, wenn ich woanders war und vorher mit dem Flughafenbus durch Berliner Tristesse gefahren bin. Biege ich dann vom Kurfürstendamm in die Fasanenstraße ein , bin ich versöhnt.
Streß bereitet mir bloß, wenn mal wieder mein Auto abgeschleppt wurde, weil hier ein Film gedreht wird. Oder in den Augen meines Gegenübers das Dollarzeichen aufleuchtet, wenn ich sage, wo ich wohne, und mich gedrängt fühle, den einsetzenden Spekulationen über meine Einkommensverhältnisse sofort entgegenzutreten. Woanders könnte ich mir das Wohnen gar nicht mehr leisten, sage ich dann. In Mitte oder am Prenzlauer Berg würde ich jetzt doppelt soviel Miete zahlen. Und ob ich mich in der Mischung aus Touristen, Echt- und Möchtegern-Ostlern wohlfühlen würde, ist eine andere Frage. Da sind mir die schönen Russinnen schon lieber, die zum festen Kundenstamm der Luxusläden gehören, die sich in den vergangenen Jahren hier angesiedelt haben. Läden, die manch politisch korrekter Zeitgenosse mit Argwohn beäugt, die aber doch Vorboten eines gewissen metropolitanen Glamours waren, zu dem nicht bloß brodelnde Kieze, sondern eben auch echter Luxus gehört. Bloß um Bulgari machen die Russinnen einen Bogen. War da nicht mal ein ehemaliger Bruderstaat, der so ähnlich hieß? Cartier klingt nach Paris für sie, Bulgari eher nach Breschnew.
Als ich hierher zog, Anfang der achtziger Jahre, trauerten bei Udo Walz, der damals im Hotel Kempinski frisierte, die Frauen der Westberliner Filzschickeria um ihre Freundin Helga, die ihr Mann, der Boxer Bubi Scholz, gerade erschossen hatte.
Grisebach-Villa und Literaturhaus waren noch Ruinen, und die Straße sah aus, als sei der Krieg eben erst vorüber. Man ging wie durch einen alten Film und konnte davon träumen, was gewesen wäre, wenn nicht Nazis, Krieg und Folgen alles ruiniert hätten.
„Die Fasanenstraße ist ein Geschenk der Spekulanten“, sagt die alte Frau T. immer, die schon seit ihrer Kindheit hier lebt. Dann erzählt sie, daß die ganze linke Straßenseite früher Wertheim gehörte. Daß Mitte der dreißiger Jahre, als Wertheim arisiert war, alles für ein „Kaufhaus des Führers“ abgerissen werden sollte. Was dann ja aus den bekannten Gründen entfiel. In den 50er- und 60er Jahren sollte hier eine Schnellstraße durch, um die West-City an den Stadtring anzubinden. Daraus ist irgendwie nichts geworden. Auch aus den Neubauwohnungen nicht, denen man danach die alten Häuser opfern wollte.
Mehr als ein halbes Jahrhundert drohte hier der Totalabriß. Die Straße kam herunter, nur Hartgesottene blieben und gingen mit ihr durch dick und dünn. Rechtsanwalt M. zum Beispiel, der vor fast fünfzig Jahren als Untermieter bei der Witwe eines Modearztes der Vorkriegszeit einzog, der die Wohnung von Hans Poelzig hatte einrichten lassen. Als M. irgendwann Hauptmieter wurde, ließ er einfach alles, wie es war. Aus den herrschaftlichen Wohnungen um ihn herum wurden Billigpensionen für Bustouristen, oder WGs zogen ein. Der gute T. von Gegenüber ist ein Fossil aus dieser Zeit. Mit Freundin belauert er seit über fünfundzwanzig Jahren ein anderes Paar, das aus den Roaring Sixties in einer Rumpf-WG übrigblieb. Keiner will dem anderen die Wohnung überlassen, und so wurde man in Mißgunst miteinander alt.
Frau W. im Nachbarhaus wurde schon in der Fasanenstraße geboren, in einer Mansarde, die ihrem Vater als Versteck vor den Nazis gedient hatte. Dort steht heute längst ein Anbau des Kempinski-Hotels, wo manchmal Herr K. absteigt, ein Bankier aus New York. Auch er lebte mal in dem Haus, das hier vorher stand. Bis er 1937 Deutschland verlassen mußte. Seit Jahren nimmt er immer dieselbe Suite. Eine, die ungefähr in der Höhe der Wohnung seiner Kindheit liegt.
Doch die alteingesessenen Bewohner, die das Gedächtnis der Straße waren, verschwinden langsam. Der Augenarzt, dessen Untersuchungsraum aussah wie das Kabinett des Galileo Galilei, ist gestorben. Klemptner Z. hatte im vergangenen Jahr einen Schlaganfall. Über fünfzig Jahre stand er vor seinem Laden im Blaumann, den er mit dem gleichen Selbstbewußtsein trug wie später die Leute ihr Gucci- Outfit. Jetzt ist dort noch so ein Nobelgeschäft. Freundin Fee, die ich auf dem Spielplatz hier kennenlernte, zieht mit ihrer Familie ins Grüne. Familie M., deren Hase in den Ferien so oft von meinen Kindern versorgt wurde, ist schon weg. Daß jetzt auch der Laden mit den geschmacksverirrten Versace-Möbeln dichtgemacht hat, ist ein schwacher Trost. Vielleicht muß ich doch irgendwann in die neue Mitte ziehen. Esther Slevogt
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