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„Das ist für uns eine Flucht in die Vernunft“

■ Ben Tomoloju, erfolgreicher Theaterautor und Regisseur in Lagos, über die Probleme bei der Überwindung der Militärherrschaft in Nigeria und die Bedeutung der Wahlen für die Zukunft des Landes

Ben Tomoloju (44) ist einer der bekanntesten Kulturschaffenden Nigerias. Der Theaterautor, Regisseur und Medienberater arbeitet zur Zeit an einer nach Afrika übertragenen Version von Goethes „Iphigenie in Tauris“.

taz: In Nigeria soll jetzt die Militärherrschaft enden und Demokratie einkehren. Sehen Sie Zeichen für eine demokratische Kultur, die diesen Wandel unterfüttern könnte?

Ben Tomoloju: Ich sehe keine. Die Kultur des Militärs ist in das Bewußtsein der Menschen eingedrungen. Das gesellschaftliche Leben wird von Elementen des Militarismus und der Gewalt geformt. Der Respekt füreinander ist verlorengegangen; jeder versucht, sich dem anderen aufzuzwingen, ohne rationale Basis. Das Militär war ein aktiver Agent der Korruption, so daß die Leute nun Illegalität als die natürliche Ordnung der Dinge erleben. Man sieht es auf der Straße: Polizisten fordern Geld und scheren sich nicht um das Gesetz. Wenn so etwas geschieht, wird das, was Demokratie begründet – das Bürgerrecht – vergewaltigt.

Wie kann unter diesen Umständen Demokratie einkehren?

Wir müssen ganz von vorn anfangen. Wir müssen das Wesen der Gesellschaft namens Nigeria neu definieren. Wir müssen die Frage stellen, wieso wir uns als Völker in einer Nation wiederfinden. Die Frage des Verhältnisses zwischen verschiedenen Gruppen hängt zusammen mit dem Umgang einzelner zueinander.

Macht der von Ihnen beschriebene Zustand eine solche Diskussion nicht unmöglich?

Der gegenwärtige Übergangsprozeß ist für uns eine Flucht in die Vernunft, ein lichter Moment, in dem man einen breiten Dialog auf Verfassungsebene und traditioneller Ebene erreichen kann. Es ist der einzige Weg. Wir haben keine Wahl. Die Alternative ist Gewalt, und sie ist gescheitert.

Was muß ein neugewählter Präsident also tun?

Ein neuer Präsident muß einen gründlichen Versöhnungsprozeß zwischen den Völkern Nigerias einleiten, indem er Öffnungen schafft für einen Meinungsaustausch zwischen den Menschen über die Souveränität des Landes. Manche haben eine souveräne Nationalkonferenz vorgeschlagen. Ich denke, das Spannendste in der nigerianischen Politik wird die parlamentarische Ebene werden. Die Exekutive – der Präsident – spielt ihre normale Rolle und kämpft mit der Wirtschaftskrise, aber das Parlament wird der Brennpunkt für die politische Debatte.

Es gibt aber wenig Anzeichen dafür, daß sich die Leute für das Parlament interessieren.

Das ist ja das Traurige. Aber auf Parteienebene schälen sich doch einige Prinzipien heraus. Die Opposition hat Prinzipien. Die Staaten des Südwestens [dort ist die oppositionelle Alliance for Democracy am stärksten; Anm. d. Red.] haben ein Wahlverhalten, das Prinzipien widerspiegelt. Und mit der All People's Party (APP) haben wir eine liberale Partei, auch wenn sie nicht weiß, daß sie liberal ist.

Wird Obasanjo die Präsidentschaftswahl gewinnen?

Er hat die Persönlichkeit und das Gewicht dazu und alle weltweiten Connections. Und er hat gute Sponsoren. Er ist der Favorit. Aber in der nigerianischen Politik darf man Überraschungen nie ausschließen. Von seinen Fähigkeiten her ist Obasanjo nicht besser als sein Gegenkandidat Falae. Falae ist ein ausgebildeter Technokrat, ein moderner Ökonom, der in der Wirtschaftspolitik neue Akzente setzt, während Obasanjo 20 Jahre zurückgeht, um alte Akzente zu setzen.

Ist nicht der ganze Demokratisierungsprozeß eine Wiederholung desjenigen von vor 20 Jahren, als Obasanjo als Militärherrscher die Macht an gewählte Zivilisten abgab?

Nicht ganz. Falae ist zwar im mittleren Alter, aber er verkörpert eine neue Generation. Aber dennoch sind so viele alte Männer einfach da. Die Jüngeren sind auf lokaler Ebene aktiv. Im Unterhaus des Parlaments gibt es nur wenige 30- bis 40jährige, und im Senat sitzt die alte Garde.

Verliert Politik ihre Bedeutung für Nigerias Jugend?

Nicht für die Jugend im besonderen, sondern Nigerianer allgemein werden unpolitisch. Wenn Generäle immerzu gehen und wiederkommen, bringt das die Leute durcheinander.

Wird der Übergang zu einer gewählten Regierung diesmal klappen?

Die Nigerianer wollen den Wechsel vom Militär zu Zivilisten. Sie werden dieser Gelegenheit eine Chance geben. Wenn die zivile Regierung kommt, werden die Nigerianer ihr die Fragen stellen, die sie unter der Militärdiktatur nicht stellen konnten: die Umweltprobleme im Niger-Delta, die regionalen Ungleichgewichte in der Armee, der Gebrauch der Regierungsmacht durch eine Gruppe als Instrument der Eroberung anderer Gruppen, die gesellschaftlichen Rechte der Frauen, der Mißbrauch von Kindern. Wie weit das System diese Fragen aushält, wird bestimmen, wie weit Nigeria Frieden genießt.

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