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Schily erfreut Gewerkschaften

■ Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes sind zufrieden. Bei den Tarifverhandlungen konnten sie 3,1 Prozent mehr Einkommen heraushandeln. Ein neuer Stil der Verständigung

Hannover (AFP) – „Das war ein unglaublich harter Poker“, stöhnte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nach seiner ersten Tarifrunde für den öffentlichen Dienst am Wochenende in Stuttgart. Geschafft haben den Abschluß zwei alte Tariffüchse, die sich seit fünf Jahren am Verhandlungstisch gegenübersitzen: Der Verhandlungsführer der Länder, NRW-Finanzminister Heinz Schleußer (SPD), und ÖTV-Chef Herbert Mai. Die Gewerkschaften handelten mit einer linearen Einkommenserhöhung von 3,1 Prozent die symbolkräftige Drei vorm Komma aus und liegen damit nahe am Metall-Abschluß. Die Arbeitgeber dagegen konnten mit der angepeilten Regelung zum Überstundenabbau punkten. Als Erfolg können die Unterhändler auch verbuchen, daß sie die kürzesten Verhandlungen schafften, die es je im öffentlichen Dienst gab. Obwohl es nicht allzuviel zu verteilen gab, wurden sich beide Seiten in vier Wochen und drei Runden einig. Dem früheren Gewerkschaftsfunktionär Schleußer war klar, daß Mai etwas Handfestes für seine Basis brauchte, was er mit der symbolischen Drei dann auch bekam.

Die Arbeitgeberseite kann als Erfolg verbuchen, daß sie bei dem umstrittenen Thema Überstunden hart blieb. Schleußer weiß, daß dies vor allem den finanziell arg gebeutelten Kommunen zugute kommt, beschäftigen sie doch die meisten Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst. Die Frage des Arbeitszeitkorridors von bis zu 45 Wochenstunden wollen die Tarifparteien bis zum Juli in weiteren Gesprächen klären. So mag es den Gewerkschaftern leichterfallen, diese dicke Kröte zu schlucken.

Der besonnene Schleußer ist seit elf Jahren Finanzminister – der dienstälteste der Republik. Schon 1957 trat Schleußer der SPD bei. Seit 1993 vertritt der heute 62jährige in Tarifverhandlungen die Länder. Und wenn es um deren Finanzen geht, scheut Schleußer allzu große Risiken, schlagen doch Einkommenserhöhungen bei den rund 1,2 Millionen Arbeitern und Angestellten in den Ländern kräftig zu Buche. „Knallhart“ nannte denn auch ÖTV-Chef Mai die Verhandlungen. Mehrmals hätten sie auf der Kippe gestanden. Gerettet hat sie auch die Erfahrung des 51jährigen ÖTV-Vorsitzenden. Der gelernte Verwaltungsangestellte steht seit 1994 an der Spitze der Gewerkschaft. Die Gewerkschaften hoffen nach dem Ergebnis von Stuttgart, daß nach der Ägide des früheren Innenministers Manfred Kanther (CDU) jetzt ein Stil der Verständigung eingekehrt. Unter Kanther endeten drei von vier Verhandlungen in der Schlichtung. Dagegen scheinen Schleußers Partei- und Verhandlungskollegen, Schily, und der Vertreter der Kommunen, der Bochumer Oberbürgermeister Ernst-Otto Stüber (SPD), das Motto des Tarifprofis vernommen zu haben: „Wer die Leute auf die Bäume treibt, muß wissen, wo die Leitern stehen, um sie wieder runterzuholen.“ Kommentar Seite 10

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