: Operation Bombe
Südafrikas militante Muslime führen in Kapstadt Krieg gegen den Staat. Jetzt greift der ANC mit harter Hand durch ■ Von Kordula Doerfler
Johannesburg (taz) –Die Täter fühlten sich sehr sicher. Am hellichten Tag gelang es ihnen, auf einem der belebtesten Plätze in der Kapstadter Innenstadt eine Bombe in einem Plastikpapierkorb zu verstecken – gegenüber des Polizeihauptquartiers. Während drin streng geheim ein gerade neu eingerichteter Krisenstab tagte, ging draußen die Bombe hoch und verletzte elf Passanten.
Seit dem Anschlag auf ein Restaurant der US-Kette „Planet Hollywood“ im vergangenen Juli häufen sich in Südafrikas wichtigster Touristenattraktion solche Bombenanschläge. Nur zwei Tage nach der letzten Bombe in der Innenstadt ging ein Sprengsatz ähnlicher Bauart in einem Vorort los. Noch hat sich niemand zu den jüngsten Anschlägen bekannt, doch die Spuren führen zur militanten muslimischen Bürgerwehr Pagad (People against Gangsterism and Drugs).
Die seit etwa drei Jahren existierende Truppe trat ursprünglich an mit dem Wunsch, die überwiegend von sogenannten Mischlingen bewohnten Elendsviertel von Kapstadt von Drogenkriminalität zu befreien. Jugendgangs hatten die „Cape Flats“ schon seit Jahrzehnten terrorisiert und fest im Griff. Der Apartheid-Polizei war dies egal, nach dem demokratischen Wandel 1994 aber wurden die oft tödlichen Kämpfe zwischen verschiedenen Drogenkartellen erstmals breiter öffentlich wahrgenommen. Im August 1996 füllte die bis dahin auch in Südafrika unbekannte Bürgerwehr plötzlich die internationalen Schlagzeilen: Vor den Augen der Polizei und bei laufender Fernsehkamera töteten Pagad-Mitglieder den stadtbekannten Dealer Rashaad Staggie.
Seither liefern sich Pagad und Drogengangs erbitterte Auseinandersetzungen, denen die Polizei meist hilflos zusieht, wenn sie nicht selbst verwickelt ist. Alle Bemühungen seitens der Regierung, der eskalierenden Gewalt durch verstärkte Polizeipräsenz und schärfere Strafverfolgung ein Ende zu setzen, waren bisher erfolglos. Längst hat Pagad das Gesetz in die eigene Hand genommen, und korrupte Polizisten und Ermittler, eingeschüchterte Zeugen und eine überforderte Justiz arbeiten der Gruppe in die Hände. „Es ist leider kein purer Zufall, daß bisher kein einziges Pagad-Mitglied vor Gericht verurteilt werden konnte“, sagt ein ranghoher Mitarbeiter im Polizeipräsidium in Pretoria.
Pagad radikalisiert sich jetzt zunehmend und trägt nun den „Heiligen Krieg“, von dem einige fanatische Mitglieder schon immer sprachen, aus den Elendsvierteln in die Innenstadt. Die neugegründete Gruppe Mago (Muslims Against Global Oppression), die personell eng mit Pagad verzahnt ist, trägt zur weiteren Eskalation bei. Bei 80 Anschlägen im vergangenen Jahr wurden 59 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt, in den Cape Flats selbst kamen insgesamt mehr als 200 Menschen ums Leben.
Seitdem auch die Touristenmeile am Hafen nicht mehr verschont bleibt, klagen dort die Händler und Kneipiers über rapide sinkende Umsätze, und viele Reiseveranstalter warnen vor zurückgehenden Besucherzahlen aus Europa. Das trifft die Regierung empfindlich, denn in der industriearmen Region am Kap ist der Tourismus die wichtigste Einkommensquelle.
Zwar versucht die örtliche Polizei, das Problem herunterzuspielen, und macht kaum mehr als ein Dutzend wirklich militanter Pagad-Mitglieder verantwortlich. Der Geheimdienst allerdings ist sicher, daß es enge Verbindungen zu noch radikaleren islamistischen Gruppen gibt. Beim Besuch des britischen Premierministers Tony Blair Anfang Januar in Kapstadt brüllten ihm mehrere hundert meist vermummte Demonstranten aus Protest gegen die Bombardierung des Iraks durch Großbritannien und die USA vor Weihnachten entgegen: „Blut ist an deinen Händen!“ Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei; ein junger Mann, der einige Tage später den Verletzungen durch ein Gummigeschoß der Polizei erlag, wurde prompt zum „Märtyrer des Islam“ erklärt.
Jetzt werde Pagad das Land „unregierbar“ machen, drohte deren „Sicherheitschef“ Salie Abadah. „Solche Hetzreden werden wir nicht dulden“, konterte Polizeiminister Sydney Mufamadi. Entnervt schickte er neue Spezialeinheiten nach Kapstadt, die seit Anfang Februar in einer „Operation Gute Hoffung“ endlich für Recht und Ordnung sorgen sollen. Zugleich denkt man im ANC laut über neue Anti-Terrorismus-Gesetze nach. Das indessen ist höchst umstritten, denn viele ANC-Mitglieder können sich allzugenau daran erinnern, wie sie einst mittels ähnlicher Gesetze von den weißen Machthabern unnachgiebig verfolgt wurden.
Der plötzliche Eifer der Regierung indessen kommt nicht ganz zufällig, denn es ist Wahlkampf in Südafrika. Zwischen Mai und Juli dieses Jahres müssen sowohl das nationale Parlament und der Präsident als auch die Landesparlamente neu gewählt werden. Die Provinz Westkap rund um Kapstadt, in der die überwiegend muslimischen Farbigen die Mehrheit der Bevölkerung stellen, ist die einzige, die 1994 an die jüngst umbenannte ehemalige Apartheidpartei NNP (Neue Nationale Partei) fiel. Der ANC ist entschlossen, dem ein Ende zu machen.
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