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Legende der guten Bank

Kleinkredite der Grameen Bank in Bangladesch treiben Frauen in die Schuldenfalle und festigen das System  ■ Aus Dhaka Rebekka Winter

Bekannt durch die Vergabe von Kleinkrediten an landlose Frauen, ist die Grameen Bank aus Bangladesch eine Heilige Kuh der Entwicklungszusammenarbeit. Die Realität der Kreditverwendung und -rückzahlung läßt jedoch bezweifeln, daß die Vergabe von Mikrokrediten nach dem Modell der Bank aus der Armut führt.

In der Dritten Welt bekommen viele Menschen bei Geschäftsbanken keinen Kredit, da sie keine Sicherheiten bieten können. Außerdem ist die von ihnen gewünschte Kreditsumme meist so gering, daß die Bearbeitungskosten den für die Bank zu realisierenden Zinsgewinn übersteigen würden. Bei Bedarf an Bargeld für Investitionen oder in Notfällen müssen sich die Menschen an informelle Geldverleiher wenden, die oft Zinssätze von mehreren 100 Prozent nehmen.

Daß jedoch auch diese Bevölkerungsgruppen für offizielle Kreditgeschäfte geeignet sind, zeigte Muhammad Yunus, ein Ökonomieprofessor aus Bangladesch. 1983 gründete er die Grameen Bank, die Kredite an landlose Menschen zu einem effektiven Zinssatz von 25 Prozent ausgibt. Im Herbst 1998 hatte die Bank 2,5 Milliarden US- Dollar an 2.400.000 Kunden ausgeliehen, 94 Prozent von ihnen Frauen. Das Erfolgsrezept der Bank: Kredite werden nur an Gruppen von fünf bis zehn Mitgliedern gleichen Geschlechts vergeben, in denen sich jeder bereit erklärt, für den Gesamtkredit zu bürgen. Die Gruppenhaftung sorgt dafür, daß die Kreditnehmer das Risiko, die Kundenüberprüfung und die Rückzahlung selber tragen. Dieses Prinzip garantierte der Bank bisher eine Rückzahlungsquote von 98 Prozent.

In ihren Publikationen stellt sich die Grameen Bank als ein vom sozialen Bewußtsein geprägtes Unternehmen dar. Ihre Kredite sollen vor allem Frauen ermöglichen, durch Investitionen ihr Einkommen zu sichern und ihre Lebensumstände zu verbessern – zum Beispiel durch Geflügelzucht. Die Bank beansprucht für sich, durch die Konzentration der Kreditvergabe auf Frauen die soziale Stellung der Frau in der islamischen Gesellschaft Bangladeschs zu erhöhen und den informellen Kreditgebern den Boden zu entziehen.

Die hohe Rückzahlungsquote und der große Frauenanteil der Klientel erregten weltweit Aufsehen und sicherten der Bank internationale finanzielle und politische Unterstützung. Ihr Konzept wird als das Erfolgsmodell der Entwicklungspolitik des vergangenen Jahrzehnts gepriesen. Die Gruppenhaftung für Kleinkredite hat Modellcharakter bekommen und wird in über 50 Ländern angewendet. Muhammad Yunus wurde von US- Präsident Bill Clinton für den Nobelpreis vorgeschlagen.

Ein Blick in die Realität der Kreditverwendung und der Rückzahlung im Ursprungsland fördert jedoch ernüchternde Ergebnisse zutage. Grameen-Kundinnen sagen, daß die Kredite zu gering sind, um mit ihnen ein Geschäft aufzubauen. In der Regel dienen sie dazu, aktuelle Ausgaben wie Mitgiftforderungen für die Verheiratung der Töchter oder Arzthonorare zu bestreiten und um die Engpässe des täglichen Lebens auszugleichen. Die Verwendung der Kredite für konsumtive Zwecke hat zur Folge, daß es keinen Rückfluß aus Investitionen gibt, mit dem die Raten abgezahlt werden. Für die Rückzahlung verschulden sich die Frauen häufig bei Geldverleihern. Diese Schulden werden wiederum mit einem neuen, höheren Grameen-Kredit zurückgezahlt. Dies führt zu Verschuldungsspiralen mit wöchentlich höheren Ratenzahlungen.

Wirtschaftliche Aktivitäten außerhalb des Hauses sind für bengalische Frauen mit einem hohen Verlust an Status verbunden, auch lassen ihnen die häuslichen Verpflichtungen keine Zeit für zusätzliche Unternehmungen. Hinzu kommt, daß die Frauen kaum Entscheidungsbefugnisse haben. Entsprechend werden die Kredite fast ausschließlich von den männlichen Verwandten genutzt. Die Frauen sind nur Kreditmittler ohne Einfluß auf den Verbleib des Geldes. Andererseits haften sie mit ihrer Person für die Rückzahlung. Häufig werden die Frauen unter Druck gesetzt, über Grameen Kredite für die männlichen Verwandten zu besorgen. Bei einer Umfrage in einem Dorf berichteten 70 Prozent der Kreditnehmerinnen über eine Zunahme verbaler und physischer Aggression innerhalb der Familie aufgrund von Konflikten über Kreditverwendung und Rückzahlung, berichtete die Zeitung Dhaka Courier.

Wirkliche Entscheidungsbefugnisse haben die Frauen nur in frauengeführten Haushalten. Dies sind jedoch die wirklich ärmsten der armen Familien. Sie werden von der Grameen Bank in der Regel aber nicht erreicht. Weil diese Familien innerhalb der Gruppenhaftung ein zu großes Risiko darstellen, finden sie keine Gruppe, die für ihren Kredit haften würde.

In Bangladesch zeigt sich, daß eine isolierte Kreditvergabe an Frauen, die in vollständiger Abhängigkeit von ihren männlichen Verwandten leben, nicht zur Armutsbekämpfung geeignet ist, sondern zur Stabilisierung von Abhängigkeitsverhältnissen und zu einer Zunahme der Gewalt gegen Frauen führt.

Eine Betrachtung der Tatsachen vor Ort entlarvt die Grameen Bank als ein ganz normales, profitorientiertes Unternehmen. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, daß der weltweit agierende Getreidehersteller Monsanto sich aktiv um eine Zusammenarbeit mit der Bank bemüht. Die von der Bank geschaffene Infrastruktur würde dem Konzern ermöglichen, ihr spezielles, nicht vermehrungsfähiges Saatgut an die sonst nur schwer erreichbaren verarmten Massen in Bangladesch zu vertreiben. Massive Widerstände von bengalischen Basisgruppen konnten die Kooperation zwischen den beiden Unternehmen bisher aber verhindern.

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