: „Keine eierlegende Wollmilchsau“
■ Heute wird ein zentrales rot-grünes Reformvorhaben, die Ökosteuer, im Bundestag beschlossen. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, und der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Reinhard Loske, loben den Ansatz, warnen aber vor allzu hohen Erwartungen
taz: Herr Loske, heute wird die Ökosteuer Gesetz. Das muß doch ein besonderer Tag für Sie sein.
Reinhard Loske: Das ist schon fast ein historischer Tag. Nach all den Beratungen, nach dem ganzen Hin und Her, tritt das jetzt tatsächlich in Kraft. Wir fangen damit an, den Faktor Arbeit zu entlasten und diese Last auf den Faktor Ressourcenverbrauch, zunächst die Energie, draufzupacken.
Wenn man den Wahlkampf der Grünen verfolgt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, die Ökosteuer heilt alle Probleme, sie schont die Umwelt, fördert Jobs und Innovation.
Norbert Walter: Ich denke schon, daß man mit einem Konzept, das mit Energie sorgfältiger umgeht, auch wirtschaftlich Erfolge haben kann. Die Frage ist nur, wieviel bringt das für die Beschäftigung? Die Industrie ist noch immer einem Rationalisierungsdruck ausgesetzt. Es sind daher weitere Reformen nötig, um das Beschäftigungsproblem zu lösen. Ich befürchte, daß wir allein von der Ökosteuer nicht so viel erwarten dürfen.
Loske: Natürlich ist die Ökosteuer keine eierlegende Wollmilchsau. Gedacht war sie ursprünglich ja so: In der komplexer werdenden Welt wird es immer schwieriger, alles mit Verordnungen und Gesetzen regeln zu wollen. Wir wollten weg von der Überregulierung – und da ist der Preisanreiz ein ganz wichtiges Mittel. Wenn wir das durchhalten, ist das schon eine historische Zäsur.
Aber die Hoffnung auf eine eierlegende Wollmilchsau haben die Grünen ja selbst geweckt.
Loske: Ja, das ist aus der Not gekommen. Die Grünen hatten mit dem Fünf-Mark-Beschluß zwar sachlich recht, aber in der öffentlichen Wirkung derart über die Stränge geschlagen, daß alle Angst bekamen. Also haben wir versprochen, das ist ganz wunderbar, die Umwelt wird gerettet, und Deutschland wird Exportweltmeister. Da hat man natürlich die Erwartungen überzüchtet. Ich sehe das nüchterner, aber natürlich fördert sie in der Tendenz Innovation und Beschäftigung.
Walter: Doch Subventionsabbau, marktgerechte Lohnabschlüsse und flexible Tarifverträge sind wichtiger für die Beschäftigung. Vor dieser Erkenntnis drücken sich viele Politiker derzeit.
Loske: Aber bei der Unternehmenssteuer wollen wir doch nachlegen und weiter senken.
Walter: Allein, mir fehlt der Glaube. Das Bundesverfassungsgericht hat ihnen doch gerade 22 Milliarden Mark entsorgt. Sie haben kein Geld und müssen den Stabilitätspakt für den Euro einhalten. Wenn aber die Erwartungen erst mal enttäuscht sind, werden dringend notwendige Investitionen ausbleiben.
Herr Walter, sie hatten sich schon vor der Wahl in die Ökosteuerdebatte eingemischt, doch seit Oktober haben Sie sich zurückgehalten. Warum?
Walter: Die Grundorientierung, direkte Steuern zu senken und indirekte zu erhöhen, paßt in meine Vorstellung davon, wie man Anreizsysteme etabliert. Doch die ökologische Orientierung kam ja erst dank der Europäischen Kommission hinein: Sonst hätte die rot- grüne Regierung die energieintensiven Betriebe von der Ökosteuer ausgenommen. Als ich das las, dachte ich, mich tritt ein Pferd – und da war es mir das Liebste, erst mal zu schweigen. Ich kann nicht verstehen, wie die Grünen das mittragen konnten.
Loske: Dieser Ruf aus Brüssel kam uns Grünen gelegen, weil wir eine Besteuerung der gesamten Industrie von Anfang an wollten. Es gibt aber auch sonst einige ökologische Lenkungseffekte in der Steuer – außer dem allgemeinen Energiesparanreiz. Nur ein Beispiel: Wir haben die gekoppelte Erzeugung von Wärme und Strom, die umweltfreundlicher ist als reine Stromerzeugung, von der bestehenden Mineralölsteuer befreit.
Aber von einem „großen Wurf“ mögen Sie ja selbst nicht sprechen.
Loske: Ich denke, daß der Entwurf besser ist als sein Ruf. Zwar ist eine gewisse Asymetrie reingekommen, weil man sich vorzeitig bei der Mineralölsteuer auf die sechs Pfennig festgelegt hat. Dadurch hat man beim Strom sehr viel mehr draufpacken müssen, als man eigentlich hätte tun sollen. Das hat der Kanzler zu verantworten. Aber es geht gar nicht darum, gleich voll zuzuschlagen, sondern über längere Zeit vorzugehen.
Walter: Trotzdem hält die Regierung immer noch unerschrocken fest an der Subventionierung deutscher Kohle.
Loske: Wir wollten effiziente Gaskraftwerke von der Mineralölsteuer befreien, dagegen lief die Kohlelobby aus NRW Sturm, das war nicht durchzusetzen.
Walter: Schöner wäre es natürlich gewesen, wenn man bei der Belastung der Umwelt angesetzt hätte, die ja je nach eingesetztem Energieträger und je nach Produktionsverfahren verschieden ist – und so die steuerliche Belastung an den Ausstoß von Schadstoffen wie Kohlendioxid oder Stickoxiden gekoppelt hätte.
Loske: Wir haben uns für eine Steuer auf die Endenergie entschieden, weil das auch in dem Entwurf der EU-Kommission vorgesehen ist und wir EU-konform vorgehen wollten. Außerdem ist der Energieverbrauch nicht nur ein Problem wegen des Kohlendioxidausstoßes, sondern er löst verschiedene Umweltbelastungen von der Wiege bis zur Bahre aus.
Die Union kritisiert, die Ökosteuer diene bloß zum Stopfen von Haushaltslöchern.
Walter: Die Sozialversicherungssysteme sind stark belastet worden. Man denke nur an das Modell, Arbeitnehmer mit 60 in Rente zu schicken. Das nährt den Verdacht, die bedienen sich doch nur, und am Ende werden die Lohnnebenkosten unterm Strich nicht so gesenkt wie angekündigt.
Loske: Klar ist: Was jetzt eingenommen wird, fließt alles zurück in die Senkung der Lohnnebenkosten. Das wird pro Jahr jeweils 0,8 Prozentpunkte ausmachen. Aber ich gebe gerne zu, daß da eine Gefahr besteht: Jetzt haben wir hier eine neue Geldquelle erschlossen, die den Reformdruck von der Rentenversicherung nimmt. Da müssen wir Grünen aufpassen, daß die Reform der Sozialsysteme trotzdem mit voller Kraft vorangeht.
Walter: Wenn ich mir die aktuellen Lohnabschlüsse ansehe, dann befürchte ich, daß die Beschäftigung nicht zunehmen wird. Die Hoffnung der Bundesregierung, durch mehr Beschäftigung auch die Sozialsysteme entlasten zu können, ist ein Luftschloß. Das Kopplungsgeschäft Ökosteuer und niedrigere Lohnnebenkosten könnte schon bald in Gefahr geraten. Ich glaube nicht daran, daß mit der SPD in absehbarer Zeit die Sozialversicherungen durch weniger Sozialausgaben strukturell solider werden.
Loske: Ich glaube schon, daß Arbeitsminister Riester das angehen will, und da rennt er bei den Grünen offene Türen ein.
Aber Sie glauben an eine positive Änderung der Wirtschaftsstruktur durch Ökosteuern.
Walter: Ja, vorausgesetzt, es erfolgt eine internationale Abstimmung. Wir dürfen uns durchaus an die Spitze des Zuges setzen, müssen aber darauf achten, daß der Abstand zu den anderen Ländern, insbesondere in der EU, nicht zu groß wird. Bisher habe ich da noch keine übermäßigen Bemühungen von deutscher Seite bemerkt.
Loske: Wenn immer der Langsamste das Tempo bestimmt, dann kommen wir nicht vom Fleck. Und wir haben in der EU ja einige Länder, wie Holland, Dänemark und die anderen Skandinavier, die ein gutes Stück vorangegangen sind.
Herr Walter, wie groß können die nächsten Ökosteuer-Schritte aus ihrer Sicht werden, wenn die EU nicht folgt?
Walter: Bei der Mineralölsteuer gibt es mit je sechs Pfennig beim zweiten und dritten Schritt noch keine Katastrophe. Beim Strom bin ich mir dagegen nicht so sicher: Wir haben jetzt Wettbewerb im Energiemarkt und die ersten Ökosteuern. Wie sich das zusammen auswirkt, sollte man erst in Ruhe prüfen, damit die großen Stromverbraucher nicht abwandern.
Loske: Wir haben zur Zeit drastisch sinkende Energiepreise. Das Faß Rohöl kostete Anfang der 80er 36 Dollar, jetzt sind es noch zehn Dollar. Durch den neuen Wettbewerb im Strommarkt gehen die Strompreise auch runter. Das gibt uns durchaus Luft, auf nationaler Ebene weiterzugehen.
Walter: Aber das gilt ja auch für ausländische Wettbewerber!
Loske: Nehmen wir mal die Mineralölsteuer: Wir sind von Nachbarn umzingelt, wo die Benzinpreise – mit Ausnahme von Luxemburg – erheblich höher sind. Teilweise 15 bis 20 Pfennig. Beim Strom müßte man genauer hingucken. Besser wäre natürlich eine europaweite Lösung.
Glauben Sie denn, daß es in diesem Jahr nennenswerte europaweite Energiesteuern gibt?
Loske: Ich glaube, es wird eine Lösung geben, aber die wird so aussehen, daß die südlichen Länder zwar mit reinkommen, zunächst aber einen Nullsteuersatz kriegen. In diese Richtung arbeitet auch der Finanzminister. Unter Berücksichtigung davon, was in Europa passiert ist, sollen die Schritte zwei und drei in der Mitte des Jahres festgelegt werden. Aber zusammen in einem, damit das endlose Gezerre ein Ende hat. Es wird etwas mehr werden als im ersten Schritt beim Sprit und weniger beim Strom. Moderation: Matthias Urbach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen