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Fröhlicher Totenkult

Mal innovativ, mal pittoresk: Die Ausstellung „Mexiko Megastadt“ im Museum für Völkerkunde gibt Einblick in den mittelamerikanischen Moloch  ■ Von Thomas Schulze

Im Vergleich zu Mexiko-Stadt ist Hamburg ein Kuhkaff. In dem mittelamerikanischen Moloch leben heute über 20 Millionen Menschen. Mexiko gilt als Megastadt: ein gewaltiges urbanes Ballungszentrum, das so facettenreich und wirbelig wie problembelastet ist.

„Mexiko Megastadt“, die zur Zeit im Museum für Völkerkunde laufende Sonderausstellung, verfolgt einen innovativen Ansatz. Die Autorinnen schlagen einen Bogen vom Machtzentrum des Aztekenreiches, das damals noch Tenochtitlán hieß, bis zu den „Herausforderungen der Moderne“, wie Museumsdirektor Köpke anmerkt. Die Ausstellung fragt am Beispiel der mexikanischen Metropole nach städtischen Entwicklungen, die auf europäische Ballungszentren erst zukommen. „Von den Erfahrungen der anderen zu lernen“, sei ein Anliegen der Ausstellung, so der Direktor.

Nach dem Betreten der Räumlichkeiten finden sich die Besucher zunächst auf dem Zócalo, dem zentralen Platz Mexikos, wieder. An den Seiten kann man in die Zeitmaschine Museum einsteigen: Wer sich durch eine Vielzahl von Text- und Bildtafeln arbeitet, erfährt Wissenswertes von der Zeit der spanischen Herrschaft, dem Kampf um Unabhängigkeit und die mexikanische Revolution.

Optisch reizvollere Anziehungspunkte locken in den Teil, der den Azteken gewidmet ist. Auf der Rekonstruktion eines riesigen Panoramabildes läßt sich in das bunte Markttreiben auf dem berühmten Tlatelolco im 16. Jahrhundert eintauchen. Archäologische Schätze wie in Stein gehauene Götterfiguren verweisen auf religiöse Praktiken, die komplizierten Bilderschriften werden erläutert und eine originalgetreue Nachbildung eines monumentalen Sonnensteins erinnert an das Kalendersystem der Azteken.

Im zweiten Saal werden die Besucher unvermittelt mit den Unwägbarkeiten einer schier endlos wachsenden Stadt am Ende des 20. Jahrhunderts konfrontiert: Naturkatastrophen und Wasserknappheit, Müll und Smog, Armut und Krankheit. In diesem inhaltlich interessanten Abschnitt haben sich die Ausstellungsmacher auf die gestalterische Unsitte des vorgeblich authentischen Nachbaus eingelassen. Absurd und unstimmig ist es, wenn eine nagelneue Echtholzsitzgruppe aus einem Hamburger Möbelstudio den Eßtisch einer mexikanischen Oberschichtsfamilie spielen muß. Geradezu grotesk werden solche Inszenierungen, wenn sich im Rahmen der Eröffnung gebildete weiße Mittelschichtler mit gesponserter Corona-Bierflasche locker in der „Selbstbausiedlung“ umtun und mal schauen, wie der Alltag in einem „Wohn- und Schlafraum von Menschen, die noch nicht lange in Mexiko-Stadt leben“ (Ausstel-llungstext) aussieht. Da staubt der museale Rekonstruktionsmief der achtziger Jahre und entwirft ein oberflächliches Bild. Was Realität anschaulich machen wollte, mutiert zur Verniedlichung und pittoresken Kulisse.

Daß solche Hilfsinsznierungen auch anders gehen, beweist der Teil der Ausstellung zum Tag der Toten. Zu sehen sind „ofrendas“, üppige Gabentische, die die Familien am „Dia de muertos“, dem wichtigsten Termin des mexikanischen Festtagskalenders, ihren Verstorbenen zu Ehren ausschmücken. Die nachempfundenen Exemplare für die Künstlerin Frieda Kahlo und den Sänger Agustin Lara quietschen vor Farbenpracht. Tanzende Skelettdamen im Ballkeid und liebliche Totenköpfe aus Zuckerguß erfreuen die Schaulust und vermitteln eine fremde Todeskultur.

Ein aktuelles Phänomen der Stadt, das in der Ausstellung nicht fehlen darf, ist Superbarrio: So nennt sich eine nicht identifizierbare Persönlichkeit im Superhelden-Outfit. Seit 12 Jahren betätigt sich die Figur als „Anwalt der Armen“, die zum friedlichen Widerstand aufruft. Getarnt mit goldenem Umhang, knallengem, roten Anzug und Ringermaske, geißelte er auch auf der Ausstellungseröffnung die Folgen neoliberaler Wirtschaftspolitik. Die europäischen Besucher des Museums mahnt er: „Wir befinden uns in der Mitte eines Flusses.“ Dies hätten auch die Macher einer thematisch hochspannenden Ausstellung mehr beherzigen können. Einzelne Bilder sind einfach zu eindeutig für das Amalgam dieser Megastadt.

täglich 10 – 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr; bis 28. November. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm, Infos unter Tel.: 441 95 25 24. Zur Ausstellung ist eine Broschüre erschienen, 80 Seiten, 11,90 Mark.

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