: Stadtplaner wollen „Europastadt“
■ Streng vertrauliche Pläne für die alten Hafenreviere, die der taz vorliegen, zwingen den Senat zum Umdenken: Wohnen und Dienstleistung sollen der Kern der Entwicklung werden
Vor vier Wochen hat der Senat sich zu einer Sondersitzung in den Alten Hafenrevieren zusammengefunden, um über fünf Vorschläge namhafter „Bietergemeinschaften“ zu beraten, die beauftragt worden waren, Konzeptionen für die Entwicklung der Flächen um Europahafen, Überseehafen und Holz- und Fabrikenhafen zu machen. Anfang Februar wollte der Senat die Konzeptionen noch nicht öffentlich auslegen, das sollte erst am 4. März passieren; bis dahin sollte eine gemeinsame „Kommentierung“ der zerstrittenen Senatsressorts erfolgen.
Die Staatsräte haben seitdem mehrfach stundenlang gestritten. Von einer gemeinsamen Sprachregelung, was mit den Konzepten passieren soll, sind sie aber so weit entfernt wie je. Denn die der taz vorliegenden Pläne werfen alle bisherigen Bremer Vorstellungen über die Nutzung der alten Hafenreviere über den Haufen. Kernpunkt für den Häfensenator und Vorgabe für die Projektentwickler war es, daß am Überseehafenkopf, also hinter dem neuen Großmarkt, hafennahes Gewerbe geplant werden sollte.
Keiner der fünf Projektentwickler hält das für sinnvoll. Mehrere schlagen schlicht das Gegenteil vor: Hier soll der Nukleus zukünftiger Wohn- und Dienstleistungsnutzung sein. Eine Brücke soll über den Holzhafen geschlagen werden und die „Überseestadt“ von Gröpelingen aus direkt zugänglich machen. Der Entwurf des Architekten Max Dudler nennt die Fläche „Quartier Insel“ und plant eine größere Grünfläche in der Mitte. Er könnte sich zwischen dem Europahafen und dem Faulenquartier eine „Waldsiedlung“ vorstellen, langfristig soll um den gesamten Europahafen herum eine „Europahafen-Stadt“ entstehen. 16.000 Einwohner sollen langfristig in dem derzeitigen Hafengebiet wohnen, 20.000 moderne Arbeitsplätze entstehen.
Der Entwurf, an dem auch Gewoba und Zechbau beteiligt sind, sieht über den Europahafen gleich eine zweite Brücke vor. Aufgrund der zerstreut liegenden Gewerbebetriebe sind Brücken über die alten Hafenbecken erforderlich, um die „waterfront“-Grundstücke zugänglich zu machen; Brücken würden dem Gebiet auch eine neue Attraktivität verschaffen.
Hinter der „Bietergemeinschaft 2“ steckt unter anderem die Baufirma der Scipio-GmbH-Gruppe. Auch die will „Fußgängerbrücken“ über den Europhafen und langfristig eine Brücke von der Nordstraße über den Holzhafen und schließlich über die Weser – auch nach Woltmershausen soll es einen direkten Zugang geben. Das ist eine Idee des früheren Baustaatsrates Eberhard Kulenkampf. Dieser Planentwurf „2“ sieht den Umzug der gesamten Hochschule auf die alten Hafenflächen vor.
Selbst die Plan-Konzeption der Bietergemeinschaft unter Federführung der Hochtief sieht an der langen Weserseite des Europahafens, wo heute Kelloggs angesiedelt ist, als Zukunftvision ein Band mit reinem Wohnungsbau vor – die Lagegunst ausnutzend. Wo der Häfensenator hafennahes Gewerbe favorisiert, würde Hochtief lieber eine „Indoor-Skipiste“ bauen und hat auch schon einen Investor dafür.
Heute sollen die bisher unter Verschluß gehaltenen Pläne der Projekt-Gruppen vorgestellt werden. Häfen-Staatsrat Gerd Markus verkündete gestern schon vorsorglich, wie sein Ressort den Kerngedanken, das riesige Gebiet bewohnbar zu machen, torpedieren wird: „Keine Brücken über Hafenflächen“. K.W.
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