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Die Welt ist nicht mehr heil

Eine Branche in der Pubertät: Es gibt immer mehr Werbung, die uns nicht mit schönen Lügen kommt, sondern mit aggressiven Vergleichen. Doch Pöbeln hilft nichts, sagen manche Kommunikationsexperten  ■ Von Stefan Schirmer

In den Kinos laufen die ersten Schlägereien schon vor dem Hauptfilm. Da wird ein forscher „Media Markt“-Mitarbeiter bei der Durchführung merkwürdiger Vergleiche von einem Eishockey- Spieler vermöbelt, bis er nur noch japsen kann: „Gut, daß wir verglichen haben.“ In einem anderen Werbespot muß ein Arzt dran glauben: Als er einem Neugeborenen den üblichen Klaps gibt, schlägt das Baby zurück. Reklame für Karate-Kurse für Kinder.

Werber greifen neuerdings gern mal zu knallharten Methoden – im Kino, im Fernsehen, auf Zeitschriftenseiten und Plakatwänden. Für die Biermarke Astra wirbt da das Konterfei eines verprügelten Trinkers mit lädierter Nase und Astra- Flasche: „Das muß gekühlt werden.“ An anderer Stelle jubelt die Brauerei: „Das Bier war klasse.“ Und zeigt zwei Herren im Rentenalter, die beschwingten Schrittes eine Peep-Show verlassen. Die krasse Reklame zeigt Bier nicht als feinen Trank für Festtagsgedecke oder Segeltörns – sie zeigt Pilsgebrauch, wie er vielleicht nun mal ist, auf St. Pauli, wo der Auftraggeber der Kampagne seinen Sitz hat.

Die schönen Lügen sind längst nicht mehr alles, was den Werbern im knallharten Wettbewerb einfällt. „Meinem Eindruck nach wird sie aggressiver“, sagt der Münchener Werbepsychologie-Professor Lutz von Rosenstiel über die deutsche Reklame. Denn „Werbung, die irgendwie heraussticht, hat deutlich mehr Aufmerksamkeit als Heile-Welt-Werbung, wie alle sie machen.“ Um in der massenmedialen Brabbel- und Bilderflut aufzufallen, wird in der Kreativbranche immer häufiger gepöbelt, gespottet und geprollt. Laut, schrill und frech soll es sein. Andere Länder haben Spots mit prügelnden Eishockeyspielern längst hinter sich. Die deutsche Werbung, die bei internationalen Wettbewerben bislang nur knapp vor den Entwicklungsländern landet, kommt erst jetzt in ihre Pubertät.

Die Hinwendung zur Radau- Reklame beschleunigt hat ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom vorigen Mai: Danach ist in Deutschland nun auch vergleichende Werbung zulässig – solange sie nicht irreführend oder verunglimpfend ist. In den USA lebt bereits jede vierte Werbung vom Vergleich: Da schicken Fast- food-Ketten Omas ins Werberennen, die in den Fleischklopsen der Konkurrenz alles mögliche finden, nur kein Fleisch. Coca-Cola und Pepsi liefern sich seit 1976 wahre „Cola-Kriege“. Und bei uns?

Speziell Märkte, in denen die Marktanteile noch nicht verteilt sind oder wo aggressive Neueinsteiger richtig aufmischen wollen, sind für den Einsatz der neuen Möglichkeiten anfällig. Klaus-Dieter Scheurle, Chef der Telekom- Regulierungsbehörde in Bonn, beklagt die „aggressive Werbeschlacht“ im Preiskrieg der Telefonbranche. Da wurde die Firma Mobilcom von TV-Liebling Manfred Krug in Telekom-Spots zur „Mogelcom“ degradiert – und ätzte zurück: „Aua, das tut weh, liebe Telekom: Wir lassen die Luft aus Euren Preisen.“ Mit abgebildet war ein Ballon, in den eine Nadel sticht. Weil die Rechtslage kompliziert ist, geht es in der Praxis so: Werben, bis der Anwalt kommt.

Der Autovermieter Erich Sixt hat auf diese Weise schon ganze Aktenordner voller Abmahnungen gesammelt. Schuld daran: die Wadenbeißer-Kampagnen der Hamburger Agentur Jung v. Matt und ihrer Münchner Dependance. Die Werber reagierten prompft: In einer Anzeige veröffentlichten sie Mahnschreiben der Gegner mit dem Kommentar: „Klar, daß die Konkurrenz teurer ist. Bei all den Anwälten, die sie beschäftigt.“ Über solchen Sprüchen schwebt der Geist, den Fernsehfiguren wie Harald Schmidt pflegen. „Er hat die Kultur umgedreht“, sagt Sixt- Werber Oliver Voss (Agentur Jung von Matt an der Isar). Der Mann aus dem Fernsehen habe bewirkt, daß mehr Menschen zu ihren Instinkten stünden. Beißende Ironie ist salonfähig geworden.

Manche Experten aber raten zur Zurückhaltung. Pfeile gegen Konkurrenten könnten das Verhalten eines Bumerangs annehmen: Sie kehren zurück. Denn wer aggressiv vergleicht, macht auch gratis Werbung für den Gegner und gilt zudem als unfein, nicht souverän. In den USA ist diese Methode deshalb auf dem Rückzug. „Aggression ja, aber sie muß stilvoll und elegant verpackt sein“, empfiehlt eine aktuelle Studie der Hamburger Agentur KNSK/ BBDO. „Vergleichende Werbung schafft mehr Nebel als Klarheit“, kritisiert Volker Nickel, Sprecher des Deutschen Werberats. Das Branchengremium warnte in dieser Woche bei ihrer Jahresbilanz vor einer Verwilderung der Sitten durch provokante Reklame. Mäßigung sei im ureigenen Interesse der Werber, so Nickel: „Aufsehen bedeutet nicht Ansehen.“

Überhaupt gibt es in der Branche, die jährlich 28 Milliarden Mark umsetzt, laute Zweifel am Sinn extrem lauter Werbung. „Sich nur auf den Tisch setzen und darauf kacken – das kann es doch nicht sein“, sinniert ein Kreativer. Hans- Peter Albrecht, vielfach preisgekrönter Werbeprofi, sitzt in seiner Münchner Agentur und schaut unzufrieden: „Pubertäre Blähungen“, schimpft er, „Aktionitis“. Folge sei der „Vampireffekt“: Aggressivität fresse oft die ganze Aufmerksamkeit, was zu Lasten des beworbenen Produkts gehe. Nicht, daß Albrecht generell gegen provokante Werbung wäre. Vor Jahren ließ er in einem Werbespot einen Großstadt-Cowboy an einen Abhang fahren und seinen Ferrari erschießen. Zur Anpreisung eines Bieres „für den Mann im Mann“.

„Werbung muß die Herzen der Leute gewinnen“, erklärt der Werber: „Die Menschen wollen eine andere Welt kaufen – je heiler, desto toller. Welcher Film hatte denn mehr Zuschauer: ,Titanic‘ oder ,Pulp Fiction?‘“ Für vorbildlich hält er die Kampagne der HypoVereinsbank: „Leben Sie. Wir kümmern uns um die Details.“ Das vermittle ein gutes Gefühl.

Es kommt eben auf das Produkt an. Wenn es die „Kinderschokolade“ von Ferrero ist, bei der Omis oder Papis zugreifen sollen, funktioniert auch eine Reklame, bei der Werber, die heile Welt hassen, Brechreiz bekommen: blitzblanke weiße Zähne, Konfirmanden-Frisur, sauber gebügeltes Hemd. Biederkeit in Person. Seit 1974 liegt die „Kinderschokolade“ unverändert im Regal. Insider der Süßwarenindustrie beziffern den Umsatz der so bieder beworbenen Kinderschokolade auf einige hundert Millionen Mark. Ferrero gilt als sehr werbegläubig. So dürfte die Art der Reklame sorgfältig gewählt sein. Ein Schokolade-Slogan lautet: „Die hat meine Mutter schon von ihrer Mutter bekommen.“

„Manche finden so etwas bieder und kitschig“, sagt Bernd M. Michael, Chef der großen Düsseldorfer Werbeagentur Grey. Doch es treffe die Gemütslage der angestrebten Kunden. Warum dann der Drang zum Drastischen in der Branche? Werber, glaubt Michael, „ordnen sich manchmal nicht so gerne der Sache unter, für die sie arbeiten“. Der Rest ist Eitelkeit.

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