: Ta Mok soll jetzt für alle büßen
Der Exmilitärchef der Roten Khmer wurde am Wochenende gefangen genommen. Ihm droht eine Anklage wegen Völkermords. Seine einstigen Freunde stehen heute auf der Seite der neuen Regierung ■ Aus Bangkok Jutta Lietsch
Seine Brutalität ist legendär. Nun wird er womöglich als einziger Führer der berüchtigten Roten Khmer zur Verantwortung für die Tragödie der „Killing Fields“ in Kambodscha gezogen: Ta Mok, der frühere Militärchef der Organisation, ist am Wochenende an der kambodschanisch-thailändischen Grenze verhaftet worden.
Ein Armee-Hubschrauber brachte den 72jährigen in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh. Er soll von einem lokalen Gericht „nach kambodschanischen Gesetzen“ angeklagt werden, kündigte der Sprecher von Premierminister Hun Sen an. „Ein Gericht wird eingerichtet, die Staatsanwälte sammeln Beweise“, sagte der Sprecher, Khieu Kanharith. Die Anklage werde „vielleicht auf Massaker oder Völkermord“ lauten. Als Höchststrafe droht ihm lebenslängliche Haft.
Ta Mok, genannt „der Schlächter“, war der letzte flüchtige Funktionär aus der greisen Spitze des Regimes, das in den siebziger Jahren aus Kambodscha ein autarkes kommunistisches Bauernreich machen wollte. Unterstützt von China, versuchte es seine Revolution gnadenlos zu erzwingen. In weniger als vier Jahren starben weit über eine Million Menschen — ein Fünftel der Bevölkerung.
Nachdem vietnamesische Truppen die Roten Khmer 1979 aus Phnom Penh vertrieben hatten, führte Ta Mok bis zum vergangenen Jahr mit einer bröckelnden Guerillatruppe Krieg gegen die Regierung in Phnom Penh. Als der Kampf immer aussichtloser und das Geld knapp wurde, zerstörte der Kern der Roten Khmer sich selbst: Nach einem blutigen Machtkampf starb im April letzten Jahres der ehemalige „Bruder Nr. 1“ der Organisation, Pol Pot, in einer Hütte an der nordwestkambodschanischen Grenze.
Die letzten Funktionäre aus der alten Führung der Roten Khmer, Ex-Präsident Khieu Samphan und Ideologe Nuon Chea, wechselten Ende Dezember die Seite. Zur Belohnung empfing Premier Hun Sen sie wie Ehrengäste in seiner Residenz, schenkte ihnen eine Reise in ein Seebad und zu den Tempeln von Angkor Wat und ließ sie anschließend „in die Gesellschaft zurückkehren“. Für Hun Sen war das Kalkül aufgegangen: die Roten Khmer zu spalten, bis sie keine Gefahr mehr darstellten. Zum ersten Mal seit fast 30 Jahren herrscht kein Guerillakrieg in Kambodscha. Übrig blieb nur noch Ta Mok, dem seine früheren Kampfgefährten gern die Schuld für die Verbrechen der Vergangenheit zuschoben. Als letzter konnte er keinen Deal mit der Regierung machen: „Mit ihm gibt es nichts zu verhandeln“, sagte Verteidigungsminister General Tea Banh. Die Regierung habe nach ihm gefahndet, „um ihn zu kastrieren“, fügte er lachend hinzu.
Inzwischen sitzt Ta Mok im Militärgefängnis unweit der berüchtigten Mittelschule von Tuol Sleng, wo die Roten Khmer einst über 16.000 Menschen verhörten, folterten und elend sterben ließen.
Wo sich Ta Mok, der ein Bein durch eine Landmine verloren hat, in den letzten Monaten versteckt hielt, ist nicht klar. Kambodschas Armeechef Meas Sophea sagte nur: „Wir verhafteten ihn, als er versuchte, aus Thailand über die Grenze zu kommen.“
Ta Mok und andere Rote-Khmer-Führer besitzen auf der anderen Seite Geschäfte und Häuser und fuhren im Schutz thailändischer Militärs hin und her. Als US- Außenministerin Madeleine Albright vor wenigen Tagen Thailand besuchte, drängte sie die Bangkoker Politiker, bei der Suche nach Ta Mok zu helfen.
Die USA wollen einen internationalen Menschenrechtsprozeß gegen die Roten Khmer. Sie unterstützen den jüngsten Vorschlag von UNO-Experten, etwa 20–30 führende Köpfe des Terrorregimes vor ein Tribunal zu bringen. Wie im Fall Ruanda oder Jugoslawien soll es im Ausland stattfinden, da die kambodschanische Justiz korrupt und parteiisch ist. In Kambodscha sollten, so die Empfehlung der UNO-Juristen, nur die unteren Chargen der Roten Khmer vor einer sogenannten Wahrheitskommission erscheinen.
Ob es dazu kommt, ist fraglich. Premier Hun Sen, der sich noch vor Monaten für ein internationales Tribunal aussprach, hat seine Meinung geändert. Er warnte letzte Woche in einem Brief an UNO-Generalsekretär Kofi Annan vor einem neuen Guerillakrieg, weil die übergelaufenen Roten Khmer aus Angst vor einem Prozeß „in die Dschungel zurückkehren“ würden.
Einige von ihnen haben inzwischen in der Regierung und im Militär Karriere gemacht. Die meisten leben in der früheren Rote-Khmer- Hochburg Pailin, geschützt von ihren alten Kämpfern, die in die Uniform der Regierungssoldaten geschlüpft sind. Wenn der „Schlächter“ Ta Mok als einziger für alle Verbrechen der Roten Khmer verantwortlich gemacht würde, wären sie hoch erfreut. „Die gesamte Bevölkerung von Pailin begrüßt die Nachricht über die Verhaftung von Ta Mok durch die Regierung“, erklärte ein ehemaliger Funktionär der Roten Khmer. „Er verdient einen Prozeß, denn er ist der letzte überlebende Hardliner.“
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