: Taugt Chinas Zar mehr als ein Gorbatschow?
Zhu Rongjis rigorose Rede vor dem Volkskongreß stößt auf die Kritik vieler Funktionäre in den Metropolen ■ Aus Peking Georg Blume
Langsam sacken die Worte des Wirtschaftszaren auf die unteren Ebenen durch, und finden nicht überall Gehör. An einem Pekinger Restauranttisch diskutieren der Bürgermeister der 10-Millionen- Stadt Chengdu nahe der armen Hinterlandprovinz Sichuan und der Bürgermeister der reichen Küstenmetropole Ningbo über das „schwierige Jahr“, das ihnen Premierminister Zhu Rongji am Freitag in seiner schonungslosen Regierungserklärung vor dem Nationalen Volkskongreß angekündigt hat. „Zhu übertreibt“, sagt der Küstenmann. „Wenn er den Banken weiter den Kredithahn zudreht, gehen auch private Unternehmen bankrott.“ Sein Gegenüber nickt. „Mit Infrastrukturprogrammen allein kommen wir nicht voran. Wir brauchen mehr Anreize für Investitionen“.
Chinas strengen Premierminister kann solches Lamentieren aufregen. „Die Finanz- und Wirtschaftsdisziplin wird nicht strikt eingehalten“, wettert er von der Kanzel und meint damit, daß die Staatsdiener ihren Laden selbst in Ordnung bringen sollten, bevor sie sich beklagen. Doch erschöpft sich eine gute Politik für undurchdringliche Riesenstädte wie Chengdu und Ningbo in rücksichtsloser Korruptionsbekämpfung, wie Zhu sie fordert? Die beiden Bürgermeister bezweifeln das: „Zhu ist ein Ingenieur, kein Ökonomen. Er vereinfacht die Dinge. Wenn alles nach ihm ginge, würde die Wirtschaft von heute auf morgen zusammenbrechen.“
Die beiden Provinzkader wissen, wovon sie reden: Derzeit wird wohl kein Vertrag in China ohne „Geschenke“ abgeschlossen. Auch ausländische Manager müssen in ihrer China-Tätigkeit die hohe Kunst der Bestechung erlernen, bevor sie erfolgreich neue Geschäfte tätigen können. Gleichwohl ist das für manche auch ein Grund, abzuspringen. „Wenn die Korruption schon im Friseursalon anfängt, wo ich einem jungen Mädchen von 20 Jahren Aufgelder für ein bestimmtes Shampoo zahlen muß, frage ich mich, ob man in diesem Land überhaupt ehrliche Geschäfte machen kann“, sagt die Leiterin eines französischen Stahl- Joint-ventures in Peking. Genau mit solchen Erfahrungen rechtfertigt Zhu eine Politik, die auf Bankrotte keine Rücksicht nimmt.
Im Zentrum dieser rigorosen Reformbestrebungen steht derzeit das Finanz- und Bankwesen. Zhus Rede vom Freitag auf dem Volkskongreß enthielt ein ganzes Paket an Maßnahmen: Trennung von Kontrolle und Bewirtschaftung der Banken, strenge Anwendung des Verantwortlichkeitsprinzips bei der Vergabe neuer Kredite, Sanierung lokaler Finanzierungsgesellschaften, deren Bankrotte zuletzt die internationalen Banken erschreckt hatte. Die Liste ließe sich fortsetzen, doch so löst sich nicht die Frage, wo ein mittelständisches chinesisches Unternehmen heute überhaupt noch einen Kredit aufnehmen kann. Chinas vier große Staatsbanken, die diesen Job bisher mit Tausenden von Filialen erledigten, stehen nun unter strenger Aufsicht, ihren Berg fauler Kredite nicht noch weiter anwachsen zu lassen. Mindestens 25 Prozent ihrer Außenstände gelten als nicht rückzahlungsfähig. Doch die von oben mit scheinbar gutem Grund verfügte Kreditknappheit läßt neue unternehmerische Initiativen im Keim ersticken. Ein privatwirtschaftliches Kreditsystem existiert nicht. Nur die Nachfrage soll durch den Staat stimuliert werden: Die Regierung kündigte vorgestern an, dafür die Staatsverschuldung um die Hälfte steigern zu wollen auf 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – immer noch deutlich weniger als die Verschuldung in Deutschland.
Die Gefahr besteht, daß der Wirtschaftszar alles richtig macht und den Karren trotzdem in den Dreck fährt. Schon Anfang der Neunziger, als Zhu erfolgreich Shanghai regierte, trug er in westlichen Medien den Beinamen „Chinas Gorbatschow“. Er empfand das angesichts der Wirtschaftslage Rußlands als Beleidigung – aber noch ist nicht entschieden, ob der Beiname stimmt oder nicht.
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