: Realität war die Frau im Dreischichtsystem
Feminismus à la DDR: Am Frauentag durften sich die Kolleginnen zurücklehnen. Ein Mann bediente sie – als Frau verkleidet. Heute verschiebt sich der Kinderwunsch gen dreißigstes Jahr ■ Von Annett Gröschner
Im Sommer letzten Jahres habe ich mir noch einmal den Film Winter ade angesehen. Er beschreibt eine Fahrt der Filmemacherin Helke Misselwitz vom tiefsten Süden in den Norden der Deutschen Demokratischen Republik. Auf ihrer Reise trifft sie Frauen verschiedenster Generationen, die ihr aus ihrem Alltag erzählen. Es gibt eine Szene in Berlin, wo die Erzählerin vor dem Schaufenster des Centrum-Warenhauses steht: Von übereinandergestellten Fernsehern flimmern Bilder der Feierstunde im Zentralkomitee der SED zum Internationalen Frauentag. Auf jedem Fernsehbild die gleiche hohle Geste der Herren, die den verdienten weiblichen Werktätigen die Durchhalteorden an die Brust stecken.
Das hatte wenig mit der Realität zu tun. Realität war die Frau im Braunkohlenkombinat, die im Dreischichtsystem einen schweren Hammer unermüdlich gegen Schornsteine schlägt, damit der Ruß die Rohre nicht verstopft. Und dafür einen Lohn bekommt, der zum Leben mit zwei Kindern gerade reicht.
Als der Film Ende 1988 in die Kinos kam, erinnere ich mich, war er mir zu vorsichtig, zu melancholisch, obwohl er an Tabus rührte – eine Punkerin, die wegen Renitenz in den Werkhof kam, das trostlose Leben einer Alleinerziehenden mit einem behinderten Kind und die schwere Arbeit der Fischfiletiererinnen in Saßnitz.
Zehn Jahre später habe ich den Film mit einem neuen Blick gesehen. Ich fand ihn kraftvoll und die Frauen von einem Selbstbewußtsein, das mir damals nicht aufgefallen war. Offensichtlich beruhte es auf der Tatsache, daß sie bei aller Doppel- und Dreifachbelastung auf keinen Ernährer, ob nun Ehemann oder Staat, angewiesen waren.
In der Wendezeit konstituierte sich in Berlin der Unabhängige Frauenverband der DDR. Nächtelang hatten wir damals in verrauchten Küchen Sofort- und Zukunftsprogramme für mehr Frauenrechte erstellt, deren Grundlage eine reformierte DDR war.
Wenn ich heute mit dem Wissen, wie die Geschichte weiterging, die verwackelten Videos aus dieser Zeit ansehe, halte ich uns für reichlich naiv – während wir noch über die Geschäftsordnung stritten, war die DDR längst verkauft. Die Masse der Frauen hat der Verband ohnehin nie erreicht. „Zu feministisch“ war er vielen, die meinten, die rechtliche Gleichstellung der Frauen existiere bereits. 1998 wurde der Bundesverband aufgelöst.
Eine politische Kraft waren wir nie, und doch konnten sich manche Selbstverständlichkeiten aus der DDR-Zeit für Frauen bis heute halten.
Ende Februar meldete eine Agentur, daß der Wunsch nach Erwerbstätigkeit unter Frauen in den neuen Bundesländern wesentlich stärker ausgeprägt ist als im Westen Deutschlands. Es sind immer noch 90 Prozent, die einen Beruf, unabhängig von finanzieller Notwendigkeit, als Teil ihrer Lebensplanung sehen, im Westen dagegen sind es nur zwei Drittel. Ausgeprägt und nicht totzukriegen ist auch der Wunsch, Kind und Karriere miteinander zu verbinden. Und auch heute noch wird jedes dritte Kind unehelich geboren.
Doch die Lebensplanungen von jüngeren Frauen im Osten sind in den letzten zehn Jahren erheblich komplizierter geworden. In meiner Studienzeit, Anfang der achtziger Jahre, gab es die vielbelächelte Schwangerenbahn beim obligatorischen Schwimmunterricht. Es war üblich, vor allem unter den Pädagogikstudentinnen, wenigstens ein Kind innerhalb der ersten drei Studienjahre zu bekommen. Heute sind Mütter unter den Studentinnen eine eher marginale Erscheinung, und der Kinderwunsch wird in die Jahre gen dreißig verschoben.
Eines der wenigen sichtbaren Ergebnisse der Frauenbewegung ist, daß es im Osten immer noch genügend Kindereinrichtungen gibt, die eine Ganztagsbetreuung anbieten. Aber inzwischen gilt es als unschicklich, sein Kind vor dem zweiten Geburtstag wegzugeben, um wieder arbeiten zu können. Der Preis ist Armut. Viele Frauen, vor allem die mit abgeschlossenem Hochschulstudium und unsicherem Arbeitsverhältnis, fangen hinterher wieder bei Null an.
Diejenigen, die wirklich ihren Arbeits- und Lebenszusammenhang verloren haben, sind Frauen wie Margot Siedow: Dreißig Jahre war sie Arbeiterin in einer Leipziger Eisfabrik. Als ihr Betrieb 1993 geschlossen wurde und sie ohne Abfindung in die Einsamkeit ihrer vier Wände entlassen wurde, war sie fünfzig. Sie war jeden Tag zur Schicht gegangen und hat jeden Tag geflucht über die Arbeitsbedingungen. „Wir waren fast nur Frauen, und die körperlich schwere Arbeit blieb immer an uns hängen. Denken Sie, einer von den Schlossern hätte für das bißchen Geld die Eimer mit Schokolade in die Bottiche eingerührt? Da habe ich immer gesagt, wenn ich nochmal auf die Welt komme, werde ich Schlosser.“
Heute denkt Siedow fast wehmütig an diese Zeit zurück. „Am schönsten war der Frauentag. Da hat sich dann unser Lohnrechner als Frau verkleidet, und wir haben uns zurückgelehnt und uns von ihm bedienen lassen.“
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